Das Land unter dem Äquator
Ecuador präsentiert sich mit einer atemberaubenden Vielfalt an Landschaften und Tierwelt
September 2019
Küstenlandschaft bei El Morro
Was Ecuador für den Besucher so interessant und reizvoll macht, das ist der Reichtum an Kontrasten, so die nahezu einhellige Meinung der Landeskenner. Ein Drittel des Landes wird vom Urwald des Amazonas-Beckens bedeckt, ein weiteres Drittel der Landfläche nimmt das Hochland ein, die Anden mit den Ost- und Westkordilleren und schließlich ist das verbleibende Drittel die lange Pazifikküste mit dem Küstenvorland und dem Bergnebelwald. Nicht zu vergessen die rund 1000 Kilometer von der Küste entfernten Galapagos-Inseln, die ebenfalls zum Staatsgebiet von Ecuador gehören. Die extreme geografische und auch biologische Vielfalt ist faszinierend: am Rande des Urwalds in der Hosteria mit der Begleitmusik von Vögeln die unvermeidliche Eierspeise zum Frühstück, ein Bad an den schier endlosen weißen Stränden des Pazifik und bei guter Sicht der Blick auf den hell leuchtenden weißen Schneegipfel des Cotopaxi, der mit etwa 5900 Metern zweithöchste tätige Vulkan auf der Erde – all das ist auf kurzen Wegen zu erleben.
Leguane im Stadtpark
Einer der Ausgangspunkt, um in den weniger bekannten Süden des Landes zu gelangen, ist die Millionenstadt Guayaquil im Mündungsgebiet des Rio Guayas unweit der Pazifikküste. Im Unterschied zur knapp 2800 Meter hoch gelegenen Hauptstadt Quito mit der Regierung und seinen Beamten, mit der berühmten kolonialen Altstadt und vielen Touristen, pulsiert in der bevölkerungsreichsten Metropole Guayaquil das Wirtschafts- und Kulturleben. Nur ein paar hundert Meter von der Uferpromenade Malecòn mit einer Reihe von Hotels entfernt, erhält man im Parque Seminario einen ersten Vorgeschmack auf die zu erwartende Exotik von Ecuador. Auf vielen Dutzend Bäumen und Sträuchern verteilt leben hier einträglich mit den Anwohnern der Stadt rund 350 handzahme Grüne Leguane und warten scheinbar auf das unvermeidliche Foto-Shooting der Touristen. Sie sind die eigentlichen Ureinwohner der Sumpfgebiete, auf denen Guayaquil erbaut wurde und haben sogar große Brandkatastrophen, die die Stadt im Laufe der Jahrhunderte mehrere Male verwüsteten, unbeschadet überlebt. Dass sie gerade in dem kleinen Stadtpark so zahlreich vertreten sind, hat einen eher kuriosen Grund. In den 1960er Jahren versuchte eine Gruppe von Mormonen einige Tiere mit nach Hause zu nehmen. Nach Protesten der Guayaquilenos wurden die Leguane konfisziert und im Park freigelassen, wo sie sich prächtig vermehrten.
Maurischer Uhrenturm an der Uferpromenade Malecon
Grüner Leguan im Stadtpark
Mangroven von Shrimps-Teichen bedroht
Bei der Fahrt in den Süden in die Provinz Guayas sind die auf das Leben in Salz- und Brackwasser spezialisierten Mangrovenwälder das Ziel. Einer befindet sich bei Churute und ist im Mündungsgebiet des Rio Guayas gelegen. Eine längere Bootsfahrt führt vorbei an teilweise über 10 Meter hohen roten und schwarzen Mangroven, bevorzugte Plätze für viele Vögel. Ein Vogelhandbuch wird herum gereicht und um die Wette fotografiert. Wir beobachten Kormorane, Rosalöffler, Reiher, Ibisse, Fischadler, Fregattvögel, Flamingos und Pelikane. Leider sind diese Mangrovenwälder die letzten Paradiese. Durch Brandrodung und Holzeinschlag mussten mehr als 4/5 dieser Wälder zwischen Meer und Hinterland der Anlage von Garnelen-Teichen weichen.
Ein ähnliches Schicksal erfahren die Trockenurwälder, deren durchaus weitläufige Überreste auch teilweise auf schmalen Pfaden zu durchqueren sind und die sich in der Regenzeit in einen undurchdringlichen Dschungel verwandeln. Überall sind mehr als 50 Meter hohe Kapok-Bäume zu entdecken mit ihren charakteristischen dicken Stämmen und sehr breiten, manchmal wie ein Brett pittoresk geformten Wurzeln.
Hier im tropischen Urwald sind Brüllaffen und Weißstirnkapuzineraffen zu Hause. Aber selbst in der Trockenzeit sind unter den dichten Blätterdächern nur für kurze Momente ihre kleinen Gesichter und beim Klettern die langen Schwänze zu sehen. Stattdessen sind Moskitos nicht nur in Massen zu sehen und zu hören, sondern auch zu spüren – Insekten-Alarm.
Mangrovenwälder Churute
Brüllaffe im Trockenwald
Das gelbe Gold des Landes
Weiter geht die Fahrt an der Pazifikküste in Richtung der Stadt Machala. Sie gilt als die Bananenhauptstadt von Ecuador. Gemeinsam mit Costa Rica ist Ecuador weltweit führend im Export der Bananen, dem gelben Gold des Landes. Der größte Teil der Exportbananen wächst in der Provinz El Oro im Süden des Landes. Der Grund liegt in der besonderen Fruchtbarkeit der so genannten alluvialen Böden im Küstenvorland. Über Jahrmillionen Jahre wurden aus den Gesteinen der Anden die Mineralien ausgewaschen und diese natürliche Düngung ist hauptverantwortlich für kilometerlange Plantagen von Bananen.
Ganz nah an Land und Leuten in Ecuador zu sein heißt auch, die harte Arbeit der Landarbeiter bei der Bananenernte kennenzulernen. Mit der Machete trennen sie die Bananen-Staude vom Bananenstamm. Dann muss die Staude mit annähernd 300 Bananen, die ein Gewicht bis zu 60 Kilogramm aufweist, auf einem langen Weg auf dem Rücken getragen werden. Der oft lange Transport-Weg, der hier sogar über eine vierspurige Autobahn führt, endet erst an einem Seilzug, der zur Verpackungsanlage führt. Die Stauden an der Bananenpflanze sind bis zur Ernte in Plastefolie verpackt, um sie vor Insekten zu schützen. Trotz dieser mühseligen aufwendigen Arbeit beträgt der Kilo-Preis in Deutschland, wenn die Früchte in den Bananenkisten von Del Monte, Dole und Chiquita liegen, zwischen 80 Cent und 1,5 Euro. Einfach unvorstellbar. Hier wie bei anderer körperlich schwerer Tätigkeit in Ecuador arbeiten viele junge Flüchtlinge aus Venezuela.
Bananen-Plantage bei Machala
Eine Staude ist bis zu 60 Kilogramm schwer
Im Land der Banane drängt sich natürlich für den Touristen die Frage auf: Warum ist die Banane krumm? Wie für alle Fragen rund um Flora und Fauna Ecuadors ist der jahrzehntelang im Land lebende Reiseführer Ralph Sommer vom Veranstalter Ecuador Discover der kompetente Sachkundige: “Der Fruchtstand der Staude wird während des Wachstums der Banane immer schwerer. Da die Bananen zum Boden schauend, einen Fruchtkörper entwickeln, der Stärke aufbaut, wenden sie sich dem Licht zu und wachsen krumm.“
Der 100 Millionen Jahre alte Wald
Der Süden von Ecuador wartet in den Ausläufern der Anden mit einer einmaligen Sehenswürdigkeit in Südamerika auf. Im Nationalpark Puyango wurde der zweitgrößte versteinerten Wald der Welt entdeckt, ein noch größerer ist nur noch in Arizona in den USA zu finden. Dieser Park Puyango liegt auf einer Höhe von nur 200 Metern und umfasst 27 Quadratkilometer. Besucherpfade durch den Trockenwald führen zu unterschiedlichen Gruppen von versteinerten Baumstämmen, die aus dem Erdmittelalter stammen und etwa 100 Millionen Jahre alt sind. Ein beeindruckender Einblick in die Erdgeschichte. Das größte Exemplar hat einen Durchmesser von zwei Metern und eine Länge von 15 Metern. Laut wissenschaftlichen Untersuchungen waren diese Bäume einst Araukarien oder die auch heute noch existierende Petrino‐Bäume. Mittlerweile haben das Gelände des versteinerten Waldes und den umliegenden tropischen Park Dutzende Vogelarten, Eidechsen und Guayaquil‐ Hörnchen in Besitz genommen.
Der versteinerte Wald von Puyango
Petrino-Baum im Puyango-Nationalpark
Gewimmel der Fregattvögel
Durch den Golf von Guayaquil, vorbei an roten Mangrovenwäldern, von wo die Besucher von Ibissen, Reihern und Pelikanen beobachtet werden, gelangt man mit dem Motorboot zur Vogelinsel Manglecito. Beim Anblick dieser größten Prachtfregattvogel‐Kolonie Südamerikas fehlen dem Betrachter fast die Worte. Ein kaum überschaubares Gewimmel von geschätzt 6.000 dieser Vögel aller Altersklassen scheint ohne Beispiel. Von einer Aussichtsplattform kann man aus nächster Nähe die Fregattvögel bei der Aufzucht der Jungvögel, bei deren Flugübungen, beim Balzen und bei der Begattung beobachten. Die Männchen haben einen aufblasbaren roten Kehlsack, mit dem sie die Aufmerksamkeit der Weibchen auf sich ziehen. Ständig sind jede Menge Flugmanöver zu sehen. Die Fregattvögel sind Hochseevögel und dafür bekannt, dass sie andere Vögel attackieren, um ihnen die Beute abzujagen sowie den Fischern die Fische aus dem Fang stehlen. Das Flugbild der Fregattvögel ähnelt einem gestreckten „W“. Die langen, schmalen Flügel erreichen eine Spannweite von mehr als zwei Metern. Ihre extrem leichten Knochen sind luftgefüllt, so dass sie nur fünf Prozent des Körpergewichts ausmachen – ein Rekord im Vogelreich. Die vitale Natur Südamerikas lässt hier einen einmaligen Blick auf seine Schöpfung zu. Weitere werden auf der Reise durch Ecuador und Galapagos folgen.
Fregattvogel-Kolonie Manglecito
Klein Galapagos auf der Insel de la Plata
Solche Wunder der Natur sind bei dem Bootsausflug zur Isla de la Plata zu entdecken, der rund 40 Kilometer von Puerto Lopez entfernten Insel. Sie wird auch gern Silberinsel genannt, weil man vermutete, dass der erfolgreiche Pirat Sir Francis Drake hier einen Schatz vergraben habe. Die Schätze des Piraten wurden bisher nicht gefunden, dafür ist der heutige Schatz der Insel eine große Anzahl von Vogelarten, die die Touristen anlocken. Manche Tourismus-Unternehmer lassen sich dazu verführen, die Insel de la Plata als „Klein Galapagos“ zu bezeichnen. Das ist sie nicht, denn mit der Einmaligkeit und der Artenvielfalt von Galapagos kann sie nicht aufwarten, aber sie ist immerhin ein Trostpflaster für alle, die es nicht auf die Vulkaninseln schaffen.
Die Insel de la Plata präsentiert verschiedene Vogelarten wie Blau- und Rotfußtölpel, Tropikvögel und Fregattvögel, Pelikane und Spottdrosseln. Eine Reihe von Blaufußtölpeln waren auf nur wenigen Metern Entfernung beim Paarungstanz zu beobachten. Die Männchen werben um ihre Angebetete, indem sie eine Art Watscheltanz aufführen und hohe Pfeiftöne ausstoßen. Tiefblaue Füße erhöhen ihre Chancen zur Paarung. Das Gackern der Weibchen ähnelt dem von den Gänsen. Einige Tiere ließen sich selbst bei der Paarung nicht stören. Auch die endemische Flora weist Ähnlichkeit zu den Galapagos-Inseln auf. Hier wachsen verschiedenen Kakteenarten, Mayuyo‐Sträucher, Palo‐Santo-Bäume (Räucherholz) und Kapokbäume. Im Unterschied zu Galapagos ist die Insel nicht vulkanisch, sondern stammt von der Landmasse des Kontinents ab.
Blaufuß-Tölpel beim Balzen und bei der Paarung
Buckelwale vor der Isla de la Plata
Buckelwale schlagen Saltos
Die Meeres-Gewässer um die Insel de la Plata haben noch eine weitere Sensation der Tierwelt zu bieten, mit der sie Galapagos durchaus den Rang ablaufen kann. Hier sind seit Jahr und Tag Buckelwale zu beobachten, die nach einer 7.000 Kilometer langen Anreise aus der Antarktis jedes Jahr hier in den warmen Gewässern vor der Küste gebären. Die männlichen Buckelwale beeindrucken die Weibchen in dieser Zeit durch ihre Balzspiele. Die Männchen erheben sich mit ihrem riesigen Körper, der bis zu 15 Meter lang wird, über die Wasseroberfläche oft senkrecht, die riesigen Tiere schlagen Saltos in der Luft und platschen knallend mit den Brust‐ und Schwanzflossen auf die Meeresoberfläche. Wer von den Touristen ausreichend Geduld mitbringt, in den kleinen Motorbooten beim pazifischen Wellengang nicht seekrank wird und eine Kamera mit leidlich Zoom beherrscht, der kann vorzeigbare Urlaubs-Fotos schießen.
Südamerika-Feeling in Montecristi
Nach all den Tierbeobachtungen sorgt an der Pazifikküste das kleine Städtchen Montecristi gehörig für Südamerika-Feeling. Hier ist das Brauchtum der Ehrung der Heiligen St. Peter und St. Paul tief verwurzelt. Neben religiösen Zeremonien und Prozessionen gibt es zahlreiche Feste mit Tanz, Essen und Trinken für die gesamte Dorfgemeinschaft, die von zwei „Regierungen“ organisiert werden: Einer „Regierung der Weißen“, die St. Peter vertritt, und einer „Regierung der Schwarzen“ für St. Paul. Und wie es sich für eine richtige Regierung gehört, hat jede ihren Präsidenten und eine große Gefolgschaft. Am 20. September ehren die Kinder des Ortes die Heiligen. In festlicher Kleidung und farbenprächtigen Kostümen sind sie die Hauptpersonen an diesem Tag. Auch sie haben schon ihre Präsidenten und ihre Kabinette und sorgen auf dem Festplatz für eine quirlige, ausgelassene aber auch würdevoll stolze Stimmung. Sie werden die Tradition ihrer Eltern in den nächsten Jahren fortführen.
Kinderfest in Montecristi zu Ehren der Heiligen St. Peter und St. Paul
Berühmt ist der Ort für seinen Panama-Hut. Er wird aus der Toquilla‐Palme geflochten. Sie wächst in den feucht tropischen Küstenzonen und in den Regenwäldern Ecuadors. Montecristi hat sich auf die Produktion von qualitativ hochwertigen Hüten spezialisiert und der Interessierte erhält für einen echten Hut auch schon mal einen Sonderpreis, der unter 100 Dollar liegt.
Auf den Straßen des kleinen Ortes sind an diesem Tag viele Menschen unterwegs, einer trägt eine Gitarre, wird aufgefordert zu spielen und legt los. Ein großer Kreis bildet sich und summt die Melodie mit. Es liegt eine Mischung von Melancholie und Lebenslust in der Luft.