Premiere für das neue Distel-Kabarett-Programm am 4. Mai 2018 „Zirkus Angela - Schicksalsjahre einer Kanzlerin“
Die Merkel-Amtszeit (immerhin bereits ein Dutzend Jahre und kein Ende absehbar) schreit nach Satire, nach tief gehender und scharfer Satire. Zu keiner Zeit hat ein deutscher Bundeskanzler eine solche unterwürfige Position gegenüber den Falken in den USA eingenommen. Zu keiner Zeit wurde von einem deutschen Bundeskanzler objektiv in der Europa-, Finanz- und Energiepolitik gegen die Interessen der ganz überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung gehandelt. Und zu keiner Zeit verzichtete der Staat auf die Kontrolle und den Schutz an seinen Grenzen. Es ist deshalb nur folgerichtig, dass „Die Distel“ die Regierungspolitik in den Mittelpunkt des neues Programms stellt. Die Kabarett-Macher an der Friedrichstraße in Berlin Mitte entschieden sich, in der Tradition vergangener Jahre für ein Nummernprogramm anstelle eines geschlossenen Satire-Stücks. Angekündigt wird niveauvolle Unterhaltung, knallharte Satire und Top Aktualität. Für den kritischen Beobachter heraus gekommen ist allerdings, dass die Kabarett-Texte sich vorrangig an den Eckpunkten der öffentlichen wohl meinenden und erlaubten Merkel-Regierungspropaganda entlang hangeln.
Während wohlfeile schärfste Kritik an den Politikern ganz allgemein dahin plätschert, wird bei konkret benannten Satire-Zielen schon sorgfältig ausgewählt. Da bekommt Seehofer sein Fett weg und die CSU mit dem markigen Spruch: „Es geht nicht blöder, reimt sich auf Söder“. Der aktuelle Watschenmann in den Medien, die Partei der SPD, darf in einem Sketch ihre Seele suchen und es wird launig empfohlen, die Geräte der SPD auf der Intensivstation abzuschalten. Aber nicht nur vermeintliche Gegner von Merkel in der CSU oder SPD, sondern auch innerparteiliche Konkurrenten werden satirisch vorgeführt. So erscheint in einem Sketch über die katastrophale Situation der Pflege in Deutschland der seit einigen Monaten in Verantwortung stehende CDU-Politiker Jens Spahn und verhandelt mit einem osteuropäischen Mafiosi über den Einsatz nicht deutsch sprechender Pflegekräfte.
Zum guten Ton gehört auch, auf die so genannte Diesel-Mafia der Autoindustrie zu schimpfen und auch ein bisschen den Zeigefinger auf die Regierung zu richten, die die Fahrer von Dieselautos im Regen stehen lässt. Auch mit diesen wie mit den anderen vorgeführten Problemen hat die Bundeskanzlerin Merkel scheinbar absolut nichts zu tun – das hat schon einen gewissen Witz. Und wie man um das wichtigste innenpolitische Thema in Deutschland, die Migrations- und Flüchtlingskrise, einen großen Bogen machen kann, ist eigentlich für ein politisches Kabarett, dass top aktuell sein will, einfach unerklärlich.
An einer Stelle wird es im Programm wirklich ärgerlich. In dem Sketch zum Thema FIFA und Fußball-WM glaubt die Distel, sich in das seit Jahren betriebene Putin-Bashing mit einer Prise Kriegshetze gegen Russland einreihen zu müssen. Da wird sinngemäß orakelt, dass die Russen nach Polen einmarschieren könnten, um mit Fußballer Lewandowski Fußballweltmeister zu werden und eventuell auch nach Deutschland bis Brandenburg, aber da sei die Qualität der Fußballer nicht so hoch. Der Textautor wird sicher sagen, Satire darf das. Darf das Satire? Vielleicht hat die fehlende Schärfe der Texte und manches Holpern im Setzen von Pointen auch damit zu tun, dass der verantwortliche Buchautor Jens Neutag mit insgesamt neun Autoren arbeitete. Da fällt mir schon der Spruch ein mit den vielen Köchen und dem Brei.
Auch dieses neue Distel-Programm bietet bei aller Kritik auch recht Gelungenes. Da ist zunächst das Ensemble auf der Bühne zu nennen mit dem Distel-Star vieler Aufführungen Dagmar Jaeger, die souverän agiert. Auch die beiden Neueinsteiger, Rüdiger Rudolph und Sebastian Wirnitzer, präsentierten ihr Talent für die Kleinkunstbühne.
Zum durchweg Positiven zähle ich auch die Kompositionen von dem Urgestein der Distel, dem Musiker Matthias Felix Lauschus, der dieses Mal sogar einen sehr gelungenen Auftritt auf der Bühne hatte. Der Beifall der Zuschauer ging zu einem nicht unbeträchtlichen Teil auf das Konto der Akteure auf der Bühne.
Der Buchautor Jens Neutag erzählte auf der website der Distel, dass er die Anregungen zum Programm als Zuschauer in einem Wanderzirkus in Dänemark erhielt. Hier sei er als Depp des Abends in die Manege gezerrt worden und musste sich von zwei dänischen Clowns vorführen lassen. Da sei die Idee einer Zirkusvorstellung als Kabarettprogramm gereift. Bei dem kritischen Beobachter stellt sich allerdings die Frage, ob er mit dieser Ausrichtung des Programms das Berliner Publikum zum Deppen machen will.
Im letzten Sketch hört das Publikum die Stimme von Angela Merkel, deren kleines lächelndes Abbild den ganzen Abend oben auf der Kulisse prangt. In ihrer unbeholfenen Ausdrucksweise meinte sie, dass es jetzt reicht mit dem Programm. Das Kabarettisten-Trio sang die Liedzeile, hoffentlich bleibt uns Angela noch lange erhalten und niemand hörte heraus, ob das ironisch gemeint war.
Der führende Politiker der Oppositionspartei Die Linke Gregor Gysi gab in der Zeitschrift „Der Freitag“ auf die etwas entwaffnende Frage, was er an Angela Merkel mag, zur Antwort: „Sie hat drei Stärken: Sie ist nicht eitel, materiell nicht interessiert und kann zufällig angenehm lächeln.“(siehe Ausgabe des "Freitag" 15/2018 vom 12.04.2018).
Ihr Lächeln sehen auch die Zuschauer auf ihrem Bild, dass an der Bühnendekoration hängt. Sie lächelt ganz sicher auch über die Distel, die „scharfer Stachel am Regierungssitz“ sein will.
Fotos: Markus Lieberenz, Distel
Comments