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Ronald Keusch

Lob der Kleinstadt

Ein neuer Reiseführer „Uckermark Schorfheide Barnim“ von Bernd Siegmund

Uckermark Schorfheide Barnim Reiseführer

Die scheinbar ewige Lust am Reisen und die Neugier darauf, was hinter der nächsten Biegung liegt, scheint besonders in Deutschland tief verankert und wächst weiter. Damit einher gehend haben die Reiseführer eine rastlose Konjunktur und überschwemmen reichlich den deutschen Buchmarkt. Aus der Masse dieser Art von Reiseliteratur als Serviceleistung für Besucher und Touristen, bei der eine steigende Zahl von Schreibern unterschiedlicher Couleur viel Mittelmaß produziert, ragen immer einige Reisebücher wie Leuchttürme heraus. Dazu zählt zweifellos der im via reise Verlag herausgegebene Reiseführer durch den Nordosten Brandenburgs.


Bei den Kriterien für einen guten Reiseführer steht ganz am Anfang, dass der Service-Charakter für den Leser ganz oben an steht. Das erfüllt das Reisebuch in den Norden von Brandenburg sehr akkurat und auch mit Kreativität. Bei der Information über die drei Regionen Uckermark, Schorfheide und Barnim stehen diese Orte und Landschaften im Mittelpunkt; der Reiseführer wurde klug in sieben Teile untergliedert. Dieses Prinzip ist insofern sehr clever, weil bestimmte wichtige Orte wie das Schiffshebewerk Niederfinow oder die Jagd in der Schorfheide besonders hervorgehoben, aber zugleich in die jeweiligen Landschaft eingebettet werden.


Marktplatz von Angermünde Allee nach Oderberg Am Werbellinsee

In zwei vorgelagerten Kapiteln des Buches wird unter Land und Leute wesentliches zu Allgemeingültigem festgehalten wie Architektur, Geschichte, Badeseen und „Mit Kindern“. Dabei scheint ein klitzekleiner Abschnitt unter der Überschrift „Dialekt“ nur ins Buch aufgenommen, um zur Uckermarker Mundart das Zitat von Tucholsky zu übernehmen, der die Sprache beschreibt mit „zart und grob, humorvoll und herzlich, klar und nüchtern – und vor allem, wenn man will, herrlich besoffen.“ Auch so etwas will man lesen.


Zum guten Schluss des Reiseführers werden insgesamt sechs Entdecker-Touren aufgelistet. Und der Leser kann sich seinen Favoriten selbst suchen. Will er die berühmte Silbertanne, die „dicke Silke“ in der Schorfheide besuchen oder eine schöne Radtour von Groß Schönebeck zum Werbellinsee unternehmen oder aber den mit dem Titel „Qualitätsweg Wanderbares Deutschland“ gekürten Wanderweg rund um Boitzenburg erleben? Auf jeden Fall sind zu den knapp auf zwei Seiten beschriebenen Touren jeweils übersichtliche Landkarten beigefügt, um den rechten Weg zu finden.

Nicht hoch genug einzuschätzen ist gerade in Reiseführern die Aktualität. Bei manchen Reiseführern in Buchhandlungen ist doch Skepsis angebracht, wenn von einer weit zurückliegenden Jahreszahl der Herstellung durch die flinke Formulierung „aktualisiert“ abgelenkt werden soll. Dieser Reiseführer von via reisen ist in seiner 1. Auflage erst seit vier Monaten im Buchhandel, sozusagen noch frisch aus dem Laptop.


Ziehende Kraniche
Ziehende Kraniche

Neben der Aktualität und dem Nutzwert zeichnet einen wirklich guten Reiseführer natürlich seine Machart aus, die sich in der Behandlung der Themen sowie in Sprache und Stil ausdrücken. In diesem Reiseführer geht der Autor behutsam und stilsicher vor. Worthülsen, wie sie leider von „Reiseschriftstellern“ des öfteren verwendet werden, haben in diesem Buch Platzverbot. Dann ist es einfach schön, wenn der Autor die „stille, gemächlich dahin fließende Landschaft“ beschreibt, die „gutmütige Einsilbigkeit der Menschen“, wenn er über ihre Toleranz richtig ins Schwärmen kommt, auch wenn der Leser zumeist weiß, dass in den Provinzstädtchen und den Dörfern durchaus ein breites Spektrum von Meinungen vertreten ist.


Der Tonfall des Reisebuches wird schon ganz am Anfang in einem kurzen Überblick der Regionen vorgegeben: Barnim (grünes Wohngebiet der Berliner und ländlicher Charme der Dörfer“), Schorfheide „Jagdgebiet der Mächtigen“ und sanfte Uckermark „Seelensammler-Landschaft, wo sich der Mensch selbst findet“.


Doch dann tritt etwas in Erscheinung, was die besondere Qualität eines solchen Reisebuches kennzeichnet. Einfach gesagt: Der Autor ist neugierig, man spürt an vielen Stellen, dass er die Landschaften und deren Bewohner sympathisch findet und sehr mag. Diese Haltung schafft erst die Grundlage, um die vielen kleinen Städte in Brandenburg zu loben und ihre zuallermeist spannende Geschichte aus dicken Chroniken und historischen Wälzern zu befreien. Dann macht der Autor Lust auf Entdeckungen wie z.B. in Eberswalde auf die Kupferhäuser aus Holz und Kupferblech, die 1931/32 nach den Entwürfen der Architekten Krafft und Gropius entstanden.


Richtig Schwung kommt dann in den Reiseführer, wenn er im Hauptteil „Orte und Landschaften“ viele Geschichten erzählen kann. Da braucht es dann Recherche und Recherche, das ist richtig harte intensive Arbeit und die Kunst muss dann darin bestehen, dass das der Leser nicht spürt, höchstens ahnt.


An der Bernauer Stadtmauer
An der Bernauer Stadtmauer

Beispielsweise über Bernau, im Mittelalter eine Bierbrauer-Stadt, in der an bestimmten Tagen Bier gebraut wurde. Am Abend zuvor, so die Geschichte, forderte der Stadtdiener per Deklamation die Bevölkerung auf, die Panke nicht zu verunreinigen, da „morgen gebraut wird.“

Ein logistisches Prinzip in den Texten zu Städten ist der Steckbrief, der in Stichworten die Informationen transportiert. Er liefert dann knappe Hinweise auf Sehenswertes, z.B. zu den Stadtbefestigungsanlagen in Bernau aus dem 13./14. Jahrhundert, die nahezu vollständig erhalten sind. Mehr Platz eingeräumt wird dagegen dem Bernauer Dichter Georg Rollenhagen aus dem 16. Jahrhundert, der als deutscher La Fontaine gefeiert wurde. Oder es ist mehr zu lesen über den Erfinder der Reißzwecke aus Lychen, der am Patent und am Millionärsdasein vorbeischrammte oder, oder ...


Die Geschichten scheinen kein Ende zu nehmen. Und immer kennt der Autor auch seinen Fontane, dessen Witz er sparsam einsetzt z.B. über die Märkische Kleinstadt Werneuchen mit schönen Ecken und einem Schloss. Als Fontane 1861 vor Ort war, urteilte er: „Ich sage Städtchen, um dem Lokalpatriotismus einzelner Bewohner nicht zu nahe zu treten, die das Beiwort 'Stadt' für ironische Übertreibung und die Bezeichnung 'Flecken' als Mangel an Respekt ansehen möchten.“ Und der lakonische Kommentar des Autors: „Eine Definition mit der man auch heute hier noch gut leben kann.“

Diese Geschichten aus der Geschichte Brandenburgs sind zweifellos auch ein Beitrag zu der Diskussion in Deutschland um das Thema Heimat. Und sie widerlegen in unterhaltsamer Weise solche in letzter Zeit aufkommenden Behauptungen wie von der Integrationsbeauftragten Aydan Özoguz, dass eine spezifisch deutsche Kultur jenseits der deutschen Sprache, schlicht nicht identifizierbar sei. Das schallende Gelächter über solchen teilweise staatlich subventionierten Unsinn ist durch die Jahrhunderte bis in unser Heute zu hören.


Wespe beim Frühstück Kunstobjekte an der Dorfstraße nach Wandlitz

Im Reiseführer scheut man sich auch nicht vor knackigen Superlativen. Der Liepnitzsee mit seinem klaren und reinen Wasser ist für den Autor das schönste Gewässer und das Biosphärenreservat Schorfheide Chorin mit 130.000 Hektar der schönste Wald in Brandenburg. Die Stadt Templin, die 2020 immerhin 750 Jahre alt wird, erhält im Reiseführer den Titel ungekrönte Schönheit der Uckermark und das ganz in der Nähe liegende Annenwalde ist eines der schönsten Dörfer dieser Region. Das frühere Glasmacher-Dorf hat heute eine Reihe von interessanten Menschen angezogen, heißt es weiter, die es aus der großen Stadt hierher in die Stille zog. Ein Komponist, eine Grafikerin, ein Schweizer Atomphysiker, ein Holzbildhauer, ein Restaurator, ein Maler und der Journalist und Buchautor Bernd Sigmund, der Autor dieses Reiseführers. Ein Kriterium für einen guten Reiseführer ist noch nicht genannt worden, sollte nicht zuletzt, sondern an erster Stelle stehen: der Autor des Buches. Ist das eine Binsenweisheit? Ja!

Autor Bernd Siegmund
Autor Bernd Siegmund

Alle Welt, auch die Uckermark will mehr Touristen. Mittlerweile machen Proteste der Einheimischen in Barcelona, Venedig und anderswo gegen die Wellen von Massentourismus Schlagzeilen. Bis diese Wellen das Städtchen Gartz am westlichen Ufer der Oder erreichen, ist es noch weit, zumal die Kreuzfahrtschiffe dort nicht hingelangen. Aber der Autor Siegmund muss sich natürlich gewiss sein, dass solche Reiseführer mehr Menschen in die Uckermark locken und mit dafür sorgen, dass die Stille in der Uckermark und in Annenwalde abnimmt.




Buch: Der Reiseführer „Uckermark Schorfheide Barnim“ von Bernd Siegmund, via reise verlag

Fotos: Bernd Siegmund

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