Über die furchterregende Aktualität von dystopischen Büchern
Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen, so lautet ein bekanntes humorvolles Bonmot. Dennoch gelang es dem Zeitgeist in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts immer wieder bis heute, die Urängste eines bald bevorstehenden Weltuntergangs zu mobilisieren. Eines der bekannten Beispiele der Apokalypse war das vorausgesagte umfassende Waldsterben in Deutschland. Laut Voraussagen aus den 70er und 80er Jahren unter anderem von solchen ehrenwerten Adressen wie vom Club of Rome würde um die Jahrhundertwende der Wald seinen Todesstoß erhalten. Zwar gab es dann auch einige großflächige Waldschäden, u.a. durch Schwefeldioxid von Kraftwerken, die mit Kohle befeuert wurden. Aber im Jahr 2005 teilte das Statistische Bundesamt mit, dass die Waldgebiete in Deutschland pro Jahr um 160 Quadratkilometer zunehmen und nunmehr 30 Prozent der Landesfläche bedecken. Der Untergang des Waldes, der ohne Frage eines ständigen Schutzes bedarf, fand nicht statt, und auch der Borkenkäfer wird das nicht ändern.
Auch die Literatur hat das Thema Zukunft schon lange erfolgreich entdeckt. Dafür stehen zwei berühmte Beispiele. Da ist der dystopische Roman "1984" von George Orwell, veröffentlicht im Jahr 1949, der von einem diktatorischen allmächtigen Überwachungsstaat handelt. Mit dem Orwell Zitat-Klassiker: "Freiheit bedeutet die Freiheit, zu sagen, dass zwei und zwei vier ist. Gilt dies, ergibt sich alles übrige von selbst." Das Zitat mahnt: Wehrt den Anfängen.
Da ist das Buch "Unterwerfung" von Michel Houellebecq aus dem Jahr 2015. Es beschreibt die fortschreitende Islamisierung von Frankreich und Europa. Der Titel ist eine Anspielung auf die wörtliche Bedeutung des arabischen Wortes Islam: Islam bedeutet "Hingabe", "Unterwerfung" unter den Willen Gottes.
Beide Romane haben eine beklemmende Aktualität. Mit der täglich über uns hereinbrechenden medialen Propaganda und der fortschreitenden Aushöhlung der bürgerlichen Grundrechte fühlt man sich in die Romanwelt hineinversetzt, um dann schließlich bestürzt zu erkennen: Die Fiktion wird zur Realität.
Und dann gibt es Literatur, die das Bild einer heraufziehenden Zukunft malt, wenn eine Mehrheit in der Gesellschaft eine Politik verfolgt, die allen Ernstes glaubt, sich über fundamentale naturwissenschaftliche, technische und technologische Gesetze und Normen einfach hinwegsetzen zu können. Ein berühmtes Beispiel dafür ist das Buch des Österreichers Mark Elsberg. Der österreichische Autor hat dazu vier Jahre recherchiert und mit Fachleuten aus Politik, Industrie und Wissenschaft zusammengearbeitet. Es wurde 2012 veröffentlicht und avancierte zu einem Bestseller - gerade in der Gegenwart. Es trägt den Titel. "Blackout - Morgen ist es zu spät." (Blanvaler, Random House Verlagsgruppe, 2013 ; 37. Auflage)
Die Verkehrsampel eben noch grün verlöscht und war verschwunden. Die Straße in Mailand ist stockfinster und die Hauptfigur im Roman Piero Manzano, knallt mit seinem Alfa gegen einen Lastwagen. So beginnt an einem kalten Februartag die Handlung des Buches: Der Zusammenbruch aller Stromnetze in Europa hat auch die Stadt in Norditalien erreicht. Schnell wird im Roman klar, dass ein langfristig geplanter Angriff von international vernetzten Hackern zu einem totalen Blackout führt, nicht für Stunden, sondern für Tage. Nun begleitet der Leser den italienischen Informatiker Piero Manzano, wie er und später zusammen mit der US amerikanischen CNN-Journalistin Shannon durch halb Europa auf der Spur der Täter ist, teilweise selbst verfolgt von der Polizei. Dabei werden auf fast 800 Seiten die Schicksale durcheinandergewirbelt. Diese Rahmenhandlung kann man spannend finden oder auch nicht. Doch wirkliche Spannung kommt auf, wenn sich der Autor den folgenden zwei ganz grundsätzlichen Fragen stellt: Was müssen die Menschen, wir alle, ganz konkret bei einem länger andauernden totalen Stromausfall erwarten und aushalten? Und wie einfach oder wie kompliziert ist es, ein Stromnetz in einem Land wie Deutschland oder einem ganzen Kontinent wie Europa sicher und störungsfrei zu betreiben?
Der Autor lässt fast minutiös das Drehbuch des Blackout ablaufen, so dass schon nach ein paar Dutzend Seiten der Gruselfaktor langsam und unaufhörlich steigt. Nun, jeder hat schon einmal eine kurze Stromsperre erlebt oder davon erzählen hören. Da läuft nicht der Fernseher und da brennt eben mal eine Zeit kein Licht und man zündet eine Kerze an. Das einzige Problem, in welcher Schublade befinden sich die Kerzen und für den Nichtraucher, wo liegen die verdammten Streichhölzer. Doch das Stromnetz ist wie ein Blutkreislauf eines Menschen, aber nicht mit einem, sondern mit mehreren Herzen. Das sind die Kraftwerke. Ihre Netze benötigen eine konstante Frequenz, vergleichbar mit der Blutdruck beim Menschen, zu hoch oder zu niedrig kippt der Mensch und die Stromversorgung auch. Und Strom kann man kaum speichern, er muss ständig fließen wie das Blut.
Schon nach 24 Stunden ohne Strom wird es in den eigenen vier Wänden etwas ungemütlich, ohne Wasser in Küche und Toilette, ohne Rundfunk, Fernseher und Internet. Ohne Strom ist der Mensch schon bald hilflos. Produktion von Lebensmitteln, Lagerung, Transport, die Pumpen der Tankstellen brauchen Strom, ebenso die Türen von Supermärkten, die Melkstände von abertausenden Milchkühen fallen aus, nur ein Bruchteil der Tiere kann per Hand gemolken werden. In den folgenden Tagen ohne Strom wird die fehlende Wasserversorgung in den Hochhaussiedlungen zum Hygieneproblem und es müssen Notquartiere eingerichtet werden, Krankenhäuser haben nur noch wenige Tage Notstrom von Generatoren zur Verfügung, viele Apotheken sind nicht geöffnet, Bankautomaten außer Betrieb, die Kühlung von Atomkraftwerken ebenfalls durch Notstrom ist begrenzt, die Eisenbahnstrecken sind durch liegengebliebene Züge blockiert. Die Lage in Justizvollzugsanstalten wird zunehmend gefährlich, Bankfilialen schließen, die Börse stürzt ab. Und das Blackout-Drehbuch im Roman hat erst das Ende des vierten Tages erreicht. Es folgen noch weitere zehn lange Tage, ehe der Strom wieder ganz langsam zu fließen beginnt. Die menschlichen Opfer sind unermesslich, ebenso die wirtschaftlichen Schäden des Blackouts und die Anstrengungen, diesen zu beheben. Bis dahin eskaliert die Situation weiter bis hin zu Plünderungen und Gewalt, die große Zahl von Verstorbenen wird in Massengräbern beerdigt, in Berlin Mitte am Holsteiner Ufer spazieren aus dem nahen Zoo Giraffen, auf die niemand mehr aufpasst.
Zum Happy End des Buches wurden mit Hilfe des Informatikers Manzano die Terroristen gefasst und der Strom kann wieder fließen. So weit so gut. Das Risiko, dass wie bei Mark Elsberg beschrieben, eine Sabotage des Stromsystems über wenige digitale Strom-Zähler erfolgen könnte, wird von Fachleuten als sehr unwahrscheinlich eingeschätzt (1). Nichtsdestotrotz sind moderne Gesellschaften und ihre IT-Systeme besonders durch großräumigen und lang andauernden Ausfall der Stromversorgung gefährdet.
Die Aktualität des vor zehn Jahren veröffentlichten Romans Blackout besteht darin, den interessierten Leser für dieses Thema zu sensibilisieren. Der Verband der europäischen Übertragungsnetzbetreiber hat erst Anfang Januar dieses Jahres die dritte von insgesamt vier Warnstufen ausgerufen. Und auch im Frühjahr stand Europa vor einem "Beinahe" Blackout. Eine künftig immer mehr einseitige Konzentration auf Wind als Energiequelle mit ein bisschen Solarenergiegewinnung und gleichzeitig dem Ausstieg aus Atom und Kohle als sichere Kapazität zur Grundlastversorgung erhöht das Blackout-Risiko. Die von Politikern beschworene Energiewende darf nicht auf Kosten der Versorgungssicherheit gehen. Hier müssen die Fakten auf den Tisch und die Fachleute gehört werden. Wir leben in einem Meer von Informationen, aber in einer Wüste von Wissen, so lautet die Klage nicht weniger Naturwissenschaftler und Techniker. Solche aufrüttelnden Romane könnten einen kleinen Beitrag leisten, dem abzuhelfen, in dem wir alle und jeder für sich die Wüste von Wissen bewässern.
1) Klimadämmerung, Frank Hennig, FBV München 2021 ; Seite 41
Comentários