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Peer Schmidt-Walther

Kreuzfahrtbranche zwischen allen Stühlen

Gast-Autor Peer Schmidt-Walther erlebt eine Mittelmeer-Kreuzfahrt als Reise durch einen Corona-Hindernisparcours

MS Vasco da Gama am Kreuzfahrtterminal in Barcelona
MS VASCO DA GAMA am Kreuzfahrtterminal in Barcelona

Milde Luft umfächelt mich, während ich genüsslich den Begrüßungsschampus schlürfe. Gemäß dem Motto des Tagesprogramms der VASCO DA GAMA:

„Gib jedem Tag die Chance, der schönste Deines Lebens zu werden!“

Dazu das mittelalterliche Panorama der in mildes Abendlicht getauchten Altstadt von La Valletta. Das füllt komplett den Balkon-Ausschnitt meiner Suite im zehnten Deck. Welch ein Privileg, denke ich, während sie sich in Deutschland vor den nasskalten Wetterunbilden des Spätherbstes schütteln. Das klingt nach Entspannung. Aber: Auch diese Idylle hat einen Haken. Den Megahaken dieser Zeit: Corona. Na, mal sehen…

Abendlicher Balkonblick auf La Valletta

Ganz so idyllisch, wie ich – nach 14 Stunden Anreise - den Start an Bord erlebt habe, war es unter dem Aspekt „C“ vorher natürlich nicht. Und es sollte, wie sich bald herausstellte, weitergehen mit dem Hindernisparcours. Wobei ich hier niemandem Angst einjagen möchte, im Gegenteil – ganz anders, als dies die Politik mit Dauerfeuer auf die Menschen demonstriert. Die nur ein Ziel haben: mal für kurze Zeit aus dieser Misere rauszukommen.


Doch der Reihe nach.



BER – ein Schreckgespenst


Chaos-Flughafen Berlin BER um 03.30 Uhr: Schier unübersehbar die Menschenschlangen. Hinter Absperrbändern stehen sie vor einer Schalterreihe. Doch nur ein Platz ist besetzt. Nervöse Fragen schwirren durch die allgegenwärtige Gebrabbel-Kulisse der riesigen Halle: „Sind wir hier richtig? Wie sollen wir da unseren Flieger schaffen?“ Die Eincheckdame ist sichtlich überfordert. Erst um 04.30 Uhr schlendern vier weitere Mitarbeiter zu ihren Plätzen. Es geht voran, wenn auch nur im Zentimetertempo. Dann bin ich dran. Nur noch eine Stunde bis zum Boarding. Überall Polizei, die Mund-Nase-Bedeckungen kontrolliert. Die Nervosität nimmt zu. Ob ich denn kein Einreiseformular für Malta habe, möchte die Lufthanseatin wissen. Damit kann ich wie alle anderen nicht dienen: „Hab keins bekommen“. Ich müsse es dann runterladen. Klappt aber nicht. Dann eben in Papierform nach der Landung. Impfbuch und QR-Code werden jedoch akzeptiert. Sicherheitskontrolle und spartanischer Drei-Stunden-Masken-Flug auch problemlos. Sogar das Gepäck ist mitgereist.



Valletta siebt aus


Wieder Endlosschlangen, diesmal vor den Einreiseschaltern in Valletta. Corona hält alle gefangen und in Atem. Nein, so ein Flughafenmann, dies sei keine Grenzkontrolle, wohl aber eine der Corona-Unterlagen. Mit ausgefülltem Personal- und Infektionsschutzfragebogen, Pass, EU-Impfnachweis und QR-Code auf dem Smartphone stehe ich vor dem Schalter, dem entscheidenden. Es ist dennoch eine Grenzkontrolle. Schließlich aufatmen: geschafft!


Drei Mitreisenden, die auch zum Schiff wollen, wird die Weiterfahrt verweigert. „Ohne QR-Code“, erklärt ein autorisierter Mann auf Deutsch, „dürfen wir sie nicht reinlassen!“ Die Senioren verstehen die Welt nicht mehr: „Wir haben doch den gelben Impfpass“, erregen sie sich, „das muss doch reichen!“ Nein, tut es nicht! Angesichts von Fälschungen verlange man den Code, entweder in Kopie oder auf dem Handy. Sie können beides nicht vorweisen. Gestrandet in der Flughafenhalle. „Und wie kommen wir jetzt zurück?“, wollen die Ärmsten wissen. „Ihre Sache! So sind nun mal unsere Vorschriften“, wird ihnen rigoros beschieden. Mit hochroten Köpfen stehen sie da, einem Herzinfarkt nahe: Schiff bezahlt, Hin- und Rückflug bezahlt – alles futsch. Niemand kann anscheinend helfen, aus dieser Falle rauszukommen, auch nicht der Veranstalter, der zudem vorab auf den digitalen Impfhinweis aufmerksam gemacht hatte. Das weitere Schicksal der bedauernswerten Gestrandeten ist ungewiss. Nächste Aufregung: Eine Frau hat eine Mappe mit sämtlichen Papieren und Kreditkarten irgendwo beim Kontroll-Marathon abgelegt und liegengelassen: weg! Sie ist völlig aufgelöst und bangt um ihre Mitfahrt. Der Kreuzfahrtdirektor verspricht ihr zu helfen. Alles wird in diesem Fall gut!



Alles Menschenmögliche


Wir indes dürfen einen Transferbus besteigen. Der kurvt am Hafen entlang zu einer Halle in der Stadtmauer. Der Kreuzfahrtdirektor stellt sich vor und erklärt lächelnd mit sanfter Stimme das folgende Prozedere: „Nur ein kleiner Antigen-Test, dann können Sie an Bord gehen“. Zum Trost gibt es einen Saft und man darf bis zum Nasestochern Platz nehmen. Der wie vorgeschrieben am Vortag zu Hause absolvierte Test zählt nicht. Man könne sich ja inzwischen infiziert haben, heißt es schiffseitig zur Begründung, und 2G, auch mit Booster-Ergänzung, allein zähle nicht. Das diene ja nur dem Selbstschutz vor schweren Verläufen, wird betont. Wie aus der Gerüchteküche verlautet, sollen zwei Gäste positiv erwischt worden sein. Man sei froh, hört man von Crewmitgliedern, dass das vor Betreten des Schiffes ans Licht gekommen sei. In der Tat! Es wäre fatal geworden für den Verlauf der Kreuzfahrt. Ob da eine Bord-Quarantäne ausreichend gewesen wäre, wagen einige zu bezweifeln. In der Haut der Veranstalter möchte ich nicht stecken. Die haben alles nur Menschenmögliche getan, um Corona und seine Varianten nicht an Bord zu lassen. Denn letztlich geht es darum, das Überleben des Unternehmens und seiner Mitarbeiter zu sichern, abgesehen vom Erhalt des Charter-Schiffes.

Auf dem Balkon kann ich nach der obligaten und erstaunlich unkomplizierten und gut organisierten Rettungsübung endlich nach über 15 Stunden die Maske abnehmen und mich auf meiner Liege erleichtert zurücklehnen. Wie wird es weitergehen, mache ich mir so meine Gedanken, auf der Fahrt von Malta nach Gibraltar…



Mafia und Goethe


Schon mit dem Tagesprogramm wird am Vorabend des sizilianischen Syrakus, dem nächsten Hafen, darauf hingewiesen, dass ab sieben Uhr die Lounge aufgesucht werden müsse: für einen zwingend vorgeschriebenen Antigen-Test.


Pünktlich schleicht sich der 219 Meter lange 55.000-Tonner aus der Hafeneinfahrt hinaus aufs dunkle Mittelmeer. Vallettas Lichterpracht wird allmählich im Kielwasser verquirlt, bis nur noch das Leuchtfeuer über den Horizont blitzt. Bald wiegt mich die sanfte Dünung in einen tiefen, coronafernen Schlaf.


Nach 90 Seemeilen wird auf Sizilien angelegt. Ich habe mich für einen Busausflug ins UNESCO-Welterbe-Städtchen Noto entschieden, hätte aber auch das alte Ragusa oder die Ausgrabungsstätte Neapolis ansteuern können. Andere ziehen auf eigene Faust los, denn die Stadtschönheit ist fußläufig gut erreichbar, auch für Gehbehinderte.


Ich springe einfach mal über Nacht weiter: 195 Seemeilen durch die Straße von Messina mit Ätna an Backbord zur Inselhauptstadt Palermo, die „Stadt der Mafia“. Die allerdings, so die Reiseführerin, lasse ihr Schwarzgeld nicht mehr hier, sondern in Deutschland waschen: „Das ist ohne Risiko“. Und Goethe soll gesagt haben: „Man kann Italien nicht verstehen, ohne Sizilien gesehen zu haben“. Das, was wir gesehen haben, gilt nach wie vor. Eine Panoramafahrt überzeugt davon. VASCO DA GAMA ist vom Hügel der Stadtheiligen Rosalia nur noch ein Modellschiffchen im Dunst der 700.000-Einwohner-Metropole. Hier gilt der QR-Code nur für Restaurants.



Mahara oder Schnutenpullis

Eine Straße durch Pompeji

172 Seemeilen weiter sieht das schon wieder anders aus: In Neapel dürfe man nicht individuell, sondern nur mit der Ausflugsgruppe an Land. Selbst deren Teilnehmer müssen in Pompeji wieder alles vorzeigen: Pass, QR-Code, Impfpass – das volle Programm. Wie auch in den nächsten italienischen Häfen Civitaveccia/Rom (Panoramafahrt mit Vatikan und kurzer Papst-Show) und Livorno (Pisas schiefer Turm). „Wer blickt da noch durch?“, stellen sich viele die Frage und bezweifeln den Sinn dieser widersprüchlichen Maßnahmen. Andere wiederum verteidigen alles unhinterfragt und gehen ihre Mitreisenden mit bösen Worten an, wenn sie den „medizinischen Mund-Nasen-Schutz“ nicht ordnungsgemäß tragen. Die kontern noch böser mit „Blockwart-Mentalität“ oder „Stasi-Zuträger“. Da geht der gesellschaftliche Riss sogar schon durch den Bus. An Bord kann man ähnliche Szenen erleben: oberlehrerhafte Zurechtweisungen im Fahrstuhl, in Treppenhäusern oder Restaurants. Das nimmt manchmal schon groteske Züge an, wenn sich erwachsene Menschen angiften wegen des in seiner Wirksamkeit sogar von Virologen umstrittenen „Schnutenpullis“, den einer sogar im Schwimmbad trägt. Dabei ist das Wort „Maske“ vom arabischen Wort „mahara“ abgeleitet und ist mit „Narr, Posse, Hänselei oder Scherz“ zu übersetzen. Doch darin verstehen manche Mitpassagiere keinen Spaß und reagieren verbissen mit tierischem Ernst.



Clevere Vorteile


Einig sind sich fast alle 630 im hervorragenden Service, bester Essensqualität, der abwechslungsreichen 1882-Seemeilen-Route, moderaten Ausflugs- und Getränkepreisen, optimalem Hygienekonzept sowie einem angemessenen Preis-Leistungsverhältnis. Letzteres ist Corona geschuldet, denn die Kabinen wurden unter den sonst üblichen Sätzen angeboten. Wobei es auch hier, je nach Anbieter, so erfährt man aus vielen Gesprächen, gravierende Unterschiede und Rabatte gibt. Der Clevere hat den Vorteil davon. Der Zufriedenheitsgrad der virusgebeutelten Gäste ist entsprechend hoch, obwohl sie ständig mit den Virus-Schutzmaßnahmen konfrontiert sind. Eine Flucht davor ist weltweit anscheinend unmöglich – bis auf Schweden, das dies allein in die Hand der mündigen Bürger gelegt hat. Zwänge wie andernorts sind dem nordischen Land fremd.


Auf den Ramblas von Barcelona
Auf den Ramblas von Barcelona

Mit den französischen Häfen Nizza (idyllisches Berg- und Künstlerdorf Eze) und Marseille (bezauberndes Aix-en-Provence) wird wieder alles anders. Keine Antigen-Tests. Da genügen, ebenso wie später in den spanischen Anlaufhäfen Barcelona (Gaudi-Kathedrale, Ramblas), Valencia (Albufera-Naturpark, Stadt der Künste), Cartagena (Murcia) und Malaga (Abreise), die schlichten Bordausweise samt Gesichtskontrolle beim Von- und Anbordgehen. Abgesehen von den überall gleichen elektronischen Gepäck- und Körperchecks, die manchmal für Schlangen sorgen. Auch hin und wieder Fiebermessungen.



Jetzt erst recht!


Dieses Prozedere gilt im Übrigen auch für das britische Überseegebiet Gibraltar. Dessen berühmte Affen jedenfalls toben auf der Spitze des Felsens wie eh und je durch die Büsche und necken ihre menschlichen Artgenossen. Auch die haben sichtlich Spaß an den pelzigen Kerlchen und vergessen für ein paar Minuten das virulente Theater. An das man durch eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes und ständige Umroutungen bei anderen Anbietern wieder erinnert wird: „Verzichten Sie jetzt auf Kreuzfahrten!“ Genau das werden die 630 nicht tun. „Dazu hab ich mich an Bord viel zu wohl gefühlt“, winkt Christa aus Hamburg ab, „nächste Reise geht in die Karibik, schon gebucht“. Jürgen aus Hannover sowie Wolfgang aus Dresden und viele weitere haben sich wie zum Trotz nach dem Motto: „Jetzt erst recht!“ schon längst für eine Weiterfahrt bis Madeira und zu den Kanarischen Inseln entschieden.



Beitrag und Fotos von Gastautor Peer Schmidt-Walter

Kreuzfahrt vom 6.-18.11.2021

 

MS VASCO DA GAMA; frühere Namen: STATENDAM (1993-2015), PACIFIC EDEN (2015-2019); Schiffstyp: Kreuzfahrtschiff; Bauwerft: Fincantieri, Montfalcone; Baunummer: 5881;

Kiellegung: 30.7.1991, Stapellauf: 3.4.1992, Indienststellung: Januar 1993;

Länge (ü. a.): 219,21 m, Breite: 30,80 m, Tiefgang (max.): 7,72 m;

Vermessung: 55.877 BRZ, Tragfähigkeit: 7637 tdw; Crew: 557; Passagierzahl (zugel.): 1613; Maschine: dieselelektrisch, Sulzer-Grandi, 34.560 kW, 2 Verstellpropeller,

Geschwindigkeit (max.): 20,3 kn; Rufzeichen: CQEP2; Klassifizierung: Lloyds Register;

IMO-Nr.: 8919245; Eigner: Mystic Ocean SA; Charterer: nicko cruises;

Heimathafen: Madeira; Flagge: Portugal;


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