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  • Ronald Keusch

Reisen in die Vergangenheit

Unterwegs in der Languedoc im Süden von Frankreich

Saint-Guilhem-le-Desert
Saint-Guilhem-le-Desert

Zwei Dutzend Kilometer von Montpellier und vom Meer entfernt, öffnet sich das Hérault-Tal und ein Tor für einen Streifzug ins Mittelalter. Hier befindet sich zwischen den Bergen und Schluchten in wunderschöner Landschaft das kleine Städtchen Saint-Guilhem-le-Desert. Sein Name stammt von dem „französischen Wilhelm“, dem Wilhelm vom Aquitanien, einem Cousin von Karl dem Großen. Der tapfere und siegreiche Ritter Guilhem legte Waffen und Rüstung nieder und verwandelte sich in einen Mönch, der nach seiner Ankunft im Jahre 804 ein Kloster gründete. Im 10. Jahrhundert wurde das Kloster zu einer wichtigen Etappe auf dem Jacobsweg und ist bis heute Station des Pilgerweges nach Santiago de Compostela geblieben - und ein Anziehungspunkt für Touristen.



Mittelalterliche Gassen


Saint-Guilhem-le-Desert Foto: GoProduction

Auf den Namen Guilhem stößt der Besucher überall. Das am Rand des historischen Ortes liegende kleine liebevoll restaurierte Hotel-Gebäude aus dem 16. Jahrhundert trägt natürlich den Namen „Le Guilhaume d‘Orange“. Vor zwei Jahren wurde dem mittelalterlichen Flecken mit seinen schmalen Gassen die begehrte Auszeichnung zuteil, zu den Grand Site de France zu gehören. Dieses Label, im Umweltgesetzbuch von Frankreich verankert, haben bislang nur ein gutes Dutzend besonders naturgeschützte, landschaftlich herausragende, bekannte und vielbesuchte Orte in Frankreich erhalten.

Auch die UNESCO kannte sich gut aus und stufte im Dorf die Abtei Gellone in Saint-Guilhem-le-Desert auf dem Jacobsweg in Frankreich als Stätte des Weltkulturerbes ein. Und das alles völlig zu Recht. Die etwa 200 Bewohner von Saint-Guilhem-le-Desert, die zuallermeist von den rund 350.000 Besuchern im Jahr leben, haben viel dafür getan, ihre Gassen und Häuser vor bunt schreiender Werbung und zerstörerischem Zeitgeschmack zu bewahren. Fassaden und Baustile der alten Häuser blieben weitgehend erhalten. Insgesamt 12 Wasserstellen, die früher hauptsächlich die Pilger mit sauberem kaltem Wasser aus den Bergen versorgten, löschen heute den Durst der Touristen.


Hotel le Guilhaume d‘Orange

Ein unscheinbarer Eingang in der Rue Chapelle des Penitents führt in ein kleines Museum. Hier präsentieren Helene und Jacques Prouget ein maßstabgetreues Modell des mittelalterlichen Anwesens und richteten für die Besucher mit dem Mobiliar ihrer Großeltern ein früheres Wohnzimmer ein. In den sich anschließenden Kellerräumen hat Jacques sein hauseigenes kleines Restaurant eingerichtet, wo er in der Sommersaison kühle Weißweine und Hausmannskost serviert.


Monsieur Jacques Prouget Altes Stadttor



Teufelsbrücke noch in Betrieb

Enge Gassen in Saint-Guilhem-le-Desert
Enge Gassen in Saint-Guilhem-le-Desert

Saint-Guilhem-le-Desert war im Mittelalter durch hohe Mauern entlang des Flusses geschützt und nur durch kleine Stadttore zu betreten. Ein schmaler Wanderweg führt aus den eng zusammenstehenden Häusern den Berghang hinauf zu einem der Tore, das noch erhalten ist. Oben angekommen, umringt von der weiten Berg-Kulisse, schaut der Besucher zu den Häusern hinunter wie in eine andere Zeit.


Ganz in der Nähe des Ortes befindet sich eine steinerne Brücke, die die Mönche im 11. Jahrhundert bauten, übrigens auch als UNESCO-Welterbe eingestuft. Gemäß einer Legende scheiterte der Teufel immer wieder daran, diese Bogenbrücke über die Schlucht des Flusses Heràult zu zerstören. Sie ist mehrfach restauriert und bis heute, gemeinsam mit zwei neu gebauten Brücken, noch in Betrieb. Daran sollten sich mal, so kommt sicher manchem deutschen Besucher in den Sinn, die Brücken in seinem Heimatland ein Beispiel nehmen.


Die Teufelsbrücke
Die Teufelsbrücke

Heute ist die malerisch gelegene Brücke ein Anlaufpunkt für die Touristen mit einer wunderschönen Badestelle an den Ausläufern des Flusses.

Hier ist auch der rechte Ort für die Weinbauern der Region, eine Vinothèque de la Maison du Grand Site einzurichten. Bei der Tochter eines Weinbauern dürfen hier die Gäste kostenlos den Wein der Region probieren und natürlich auch kaufen. Dank seines günstigen Klimas und seiner günstigen Bodenlagen ist Languedoc-Roussillon nicht nur eines der ältesten sondern auch das größte zusammenhängende Weinanbaugebiet auf der Welt – so haben die Tourismus-Büros der Region errechnet.


Bunte Welt der Keramik


Über ein anderes Gewerbe erzählt ein Museum in dem kleinen Töpferdorf Saint-Jean-de-Fos. Viele hunderte von Jahren wurde hier die große Töpferkunst in 54 Dynastien von Handwerksfamilien praktiziert, ehe sie den ungleichen Wettkampf gegen Industrieprodukte aus Plastik verloren. Beeindruckende Gebrauchskeramik in verschiedenen Farben ist an einer Reihe von Häusern zu entdecken wie Ziegelfronten auf den Dächern oder Regenrinnen. Das erst vor zwei Jahren eingerichtete Museum „Argileum“ zeigt Töpferwerkstätten und präsentiert in Ateliers die bunte Welt der Keramik.


In der Töpferei Museum Argileum



Backofen der alten Römer

Das Dorf Mourèze
Das Dorf Mourèze

Auf dem Weg in das Landesinnere erreicht man das Dorf Mourèze, das in seinem Umfeld erstaunliche Naturschönheiten wie auch spannende Geschichte zu bieten hat. Nicht nur der Geologe als Fachmann, sondern erst recht der Urlauber als Laie kann die Felsformationen aus Dolomit-Gestein bewundern. Vor 160 Millionen Jahren haben Ablagerungen eines seichten Binnenmeeres diese grandiose Landschaft eines dolomitischen Tal-Kessels gebildet. Auf einem 300 Hektar großen Areal ist eine wundersame Kulturlandschaft entstanden, die schon 4000 v. Chr. besiedelt wurde. Stolz zeigen die Mitarbeiter vom Touristenbüro den ehemaligen Gemeinde-Backofen, das mit Abstand älteste Gebäude von Mourèze. Hier wurden schon zu Zeiten der Gallischen Provinz des Römischen Reiches Amphoren für Transport und Lagerung von Wein und Öl gebrannt.


Der Salagou-Stausee
Der Salagou-Stausee

In dieser Landschaft wurde vor 35 Jahren der Salagou-Stausee angelegt. Dem Naturschutz verpflichtet, ohne Motorboote und große Hotelanlagen, erfreuen sich die Gäste auf kommunalen und privaten Campingplätzen am 28 Kilometer langen Uferstreifen mit von Schilf und Bäumen gesäumten Buchten. Alles ist eingebettet in das allgegenwärtige rotbraune Sedimentgestein.





Hotel in Häusern der alten Manufaktur


Die kleine Stadt Clermont liegt im Herzen des Departements Hèrault. Bekannt wurde sie durch eine Textilmanufaktur, die seit dem 17. Jahrhundert in der Regierungszeit von Ludwig dem XIV. und seinem rührigen Minister Colbert edle Stoffe herstellte. Später entstand neben den Fabrikhallen eine in sich geschlossene Arbeiter-Siedlung mit Mauern und Toren, auf denen noch heute die Inschrift prangt: „Honneur au travail“ („Ehre der Arbeit“). Hinter dem Tor erstreckt sich eine Platanen-Allee, eine große Kapelle und in der Mitte des Platzes sprudelt auch heute noch ein Springbrunnen.


Hotel in der alten Arbeitersiedlung
Hotel in der alten Arbeitersiedlung

In so manches der renovierten alten Quartiere, in denen Familien der Weber aus der Manufaktur über 200 Jahren lang lebten, ist nunmehr ein Hotel eingezogen. Oft erstreckt sich das Hotelzimmer verbunden mit einer Treppe über zwei Etagen der schmalen Reihen-Häuschen. Es gibt auch Pläne der Region, das alte Gelände der Fabrik, die vor 60 Jahren geschlossen wurde, für den Tourismus neu zu entdecken. Doch schon jetzt ist hier alles ein historisches Stück Südfrankreich. www.hoteldelasource.com



Weinwanderung mit Winzern


Auf dem Weg in das Städtchen Lodève begegnen dem Besucher weitere Markenzeichen der Landschaft von Südfrankreich. In dem kleinen Dorf Cabrières in den Ausläufern des Bergzuges der Cervennen wird der Wein ganz groß geschrieben. Hier gründete sich schon vor 80 Jahren eine Genossenschaftskellerei.


Weinfelder an den Ausläufern der Cervennen
Weinfelder an den Ausläufern der Cervennen

In der Gegenwart haben sich 15 Winzer zusammengeschlossen und verkaufen seit nunmehr knapp 20 Jahren gemeinsam ihre Weine im Weinkeller „L`ESTABEL“. So lange ist auch schon Erika Michel bei der Weinlese und im Verkauf mit dabei. Die Münchnerin heiratete einen Weinbauern und wurde zur Kennerin südfranzösischer Weine befördert. „Durch unseren einzigartigen Schieferboden und unser Klima, geschützt durch die Bergketten, wachsen bei uns Weine der Extraklasse“, schwärmt die Deutschfranzösin. Außerdem betreiben die französischen Weinbauern schon seit Jahren recht erfolgreich den Wein-Tourismus. Um von den kleinen Mengen ihres Qualitäts-Weines, der auf dem kargen Boden reift, leben zu können, benötigten die kleinen Weinbetriebe ein zusätzliches Standbein. „Unser Weinkeller ist der Ausgangs- und der Endpunkt der Weinwanderungen. Die Winzer sind die Wanderführer durch ihre Weinberge und das kommt bei den Touristengruppen - gerade aus Deutschland - sehr gut an“, so Erika Michel. Auch sehr beliebt seien die Weinfeste im Juli und August in den umliegenden Dörfern. Wenn dann allerdings die Weinlese beginne, sei keine Zeit mehr zum Feiern, dann sei zu viel zu tun.



Das geologische Wunder


Ein wahres Wunder der Natur bietet die Region mit dem kolossalen Talkessel Cirque de Navacelles. Vor Millionen von Jahren schuf der Flusslauf der Vis durch Erosionen diese geologische Landschaft. Insgesamt vier spektakuläre Aussichtspunkte und eine Vielzahl von angelegten Wanderwegen erlauben, dieses sensationelle Naturwunder intensiv zu betrachten. Und bei genügend Muße kann der Besucher auch den Flug von Königsadlern verfolgen, die hier neben weiteren zwei Dutzend geschützter Vogelarten beheimatet sind.


Cirque de Navacelles
Cirque de Navacelles



Teppichknüpferei hat überlebt


Das kleine Lodève, ehemals Bischofs-Stadt, schon mehr als 50 Kilometer von der pulsierenden Metropole Montpellier und dem Meer entfernt, ist zwar durch eine Schnellstraße recht gut erschlossen. Doch nur wenige Touristen besuchen die wuchtige Kathedrale und interessieren sich für das kleinstädtische authentische Flair des Südens.


Neues Atelier der Teppichknüpfer
Neues Atelier der Teppichknüpfer

Auch Lodève beherbergt ein im historischen Lauf untergegangenes Handwerk mit 400 Jahre alter Tradition - die nationale Teppich-Manufaktur „La Savonnerie“. Nach dem langsamen Niedergang der Fabrikation von Teppichen hat seit einigen Jahren das große Handwerk des Knüpfens der Fäden eine Renaissance erlebt. In den großen Fabrikhallen ist jetzt ein modernes Atelier entstanden, das sich den Motiven zeitgenössischer Künstler widmet und so die alte Knüpfer-Technik am Leben erhält. Nicht selten sind an einzelnen Arbeiten die Teppichknüpfer mehrere Jahre beschäftigt. Dank staatlicher Unterstützung arbeiten wieder rund 20 Handwerker an den Teppich-Knüpfmaschinen. Mit ihrer Hilfe werden zur Unterstützung Pariser Werkstätten auch historische Teppiche restauriert. Einen großen Fundus stellen die für die Teppiche über Jahrhunderte eingesetzten gefärbten Wollfäden dar. Insgesamt enthält das Archiv 355 unterschiedliche Farbtöne. Interessierte Besucher können nach Anmeldung ein kleines Museum besuchen und die Maschinen in Betrieb sehen.



Das antimilitaristische Krieger-Denkmal


Im Zentrum von Lodéve ist gleich neben der Kathedrale in einem gepflegten Garten ein Grabfeld für die Bischöfe eingerichtet. Auch vor der Kathedrale auf dem großen Platz, bepflanzt mit großen Kastanienbäumen, steht ein Monument der Toten. Es wurde von dem in der Stadt geborenen Bildhauer Paul Dardé geschaffen und trägt den Titel „Ewiger Schmerz“. Es erinnert an die gefallenen französischen Soldaten im 1. Weltkrieg, dessen Schrecken der Künstler als Krankenträger miterleben musste. Doch welch fundamentaler Unterschied zu den herkömmlichen Helden- und Kriegerdenkmalen zeigt sich in dem Gedenken des Werkes von Dardé. Ein aufgebahrter Soldat wird von vier Frauen umringt, die die Jahreszeiten und die unterschiedlichen sozialen Schichten der Trauernden zeigen. Die Frau des Soldaten kniet vor Schmerz gebeugt nah am Toten und zu seinen Füßen, die noch in Soldaten-Stiefeln stecken, stehen erschüttert zwei kleine Kinder. Lautstarke nationalistische Stimmen, die es auch in Frankreich gibt, versuchten vergebens, dieses antimilitaristische Denkmal zu entfernen. Die Bewohner von Lodève standen hinter ihrem Künstler.

70 Jahre seit dem Ende des letzten Weltkrieges braucht Europa wieder äußerst dringend all überall solche „Antikriegs-Denkmale“. Und wie in Südfrankreich werden sich Menschen finden, die diese Mahnmale beschützen und gegen die Kriege in aller Welt auftreten.


Skulptur “Ewiger Schmerz“ von Paul Dardé
Skulptur “Ewiger Schmerz“ von Paul Dardé

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