Estlands Naturpark Soomaa gehört zu den noch wenig entdeckten Landschaften in Europa
Birken all überall im Soomaa Nationalpark
Der Soomaa-Nationalpark im Südwesten Estlands und die Flusstäler Vorpommerns im Nordosten Deutschlands haben eins gemeinsam: Sie gehören seit 2009 zu den exzellenten Reisezielen, die Europa zu bieten hat. Beide Destinationen wurden mit dem Preis der „European Destination of ExcelleNce“ (EDEN) ausgezeichnet. Sie organisieren auch gemeinsam individuell zugeschnittene Aktivreisen, die erstmals mit ausgedehnten Paddeltouren und Moorschuhwanderungen in den Soomaa Nationalpark führen.
Biber-Safari im Kanu
Weite Stille im Naturpark Soomaa Soomaa ist Biber-Land Foto: Aivar Ruukel
An diesem Abend im Mai zieht nach 21 Uhr auch über dem Fluss der jahrtausendealten Landschaft die Dämmerung langsam herauf. Aivar Ruukel führt ganz langsam und bedächtig das Paddel vom Kanu durch das Wasser. Er kennt sich hier auf den Wegen und Flussläufen im Soomaa-Naturpark aus wie in seiner Westentasche. Hier in diesem Bereich des Flusslaufes haben einige Biber-Familien ihre Burgen gebaut. Untrügliche Zeichen dafür sind am Flussufer zu besichtigen. Überall liegen zu einem Haufen aufgestapelte dickere Zweige und Äste.
Spuren der Biber
Der Stamm eines riesigen Baumstammes ist rundherum angenagt und die Holzspäne sind überall rund um den Baum verteilt. Plötzlich taucht an der Wasseroberfläche der Kopf eines Bibers auf, der sich langsam von der Uferböschung in die Mitte des kleinen Flüsschens bewegt. Er scheint erst mit Verzögerung unsere zwei Kanus zu entdecken, schlägt mit seinem Schwanz auf die Wasseroberfläche und verschwindet aus dem Blickfeld. So kurz kann die Begegnung auf einer Biber-Safari im Naturpark sein.
Quartiere bei den Störchen
Für Aivar Ruukel, den einheimischen Tour-Betreuer, der mit seiner Familie nahe von einem der Flussläufe wohnt, gehören die Biber zu seinem Alltag. Er ist einer von den 50 Esten, die hier in dem 40.000 Hektar großen Naturpark ständig leben. Sein Holzhaus ist nicht weit entfernt von dem Dorf-Flecken Riisa, in dem auch die Feriengäste in der Nähe von einem Fluss ihr Quartier in ehrwürdigen gemütlichen Holzhäusern haben. Jetzt im Mai beginnt die Saison, die bis hinein in den Oktober reicht.
Im Auge des Stroches
Ein Markenzeichen dieser Landschaft sind überall hoch neben den Holzhäusern thronende Storchennester. Die Störche werden von den ausgedehnten Feuchtwiesen angezogen. Schon vor den Urlaubern haben sie Anfang Mai als erste ihre Nistplätze bezogen. Einige der Holzhäuser für Urlauber haben unter ihrem Dach auch eine kleine finnische Sauna mit heißen Steinen. Außerdem ist auf dem weitläufigen Gelände am Fluss noch eine separat stehende kleine Holzhütte platziert. Die Sauna darin ist in 2-4 Stunden aufgeheizt. Estland mit viel unberührter Natur ist wie der nördliche Nachbar Finnland ein Saunaland.
Die Sauna ist angeheizt
Stille mit kostenlosem WLAN
Wer hierher kommt, der muss die Weite der flach ausgebreiteten Landschaft und ihre Stille mögen. Die Stille ist eine der natürlichen Ressourcen, an der es in unserer heutigen Welt immer mehr mangelt. Dass Estland sogar mitten im Wald und auch im Naturpark an den Flussläufen WLAN zur Verfügung hat, ist für niemanden ein Widerspruch und für viele Neuankömmlinge immer wieder eine Überraschung.
Holzhaus mit Storch
Die Wege durch das Moor
Der Nationalpark Soomaa trägt seinen Namen, weil sein Territorium durch Moore und Auenwiesen geprägt ist. Soomaa heißt zu Deutsch Sumpfland oder Moorland. Zu den mehr als ein Dutzend Wanderwegen im Park gehören auch Moorwanderungen mit Moorschuhen sowie der Riisa-Moorweg Nummer 1. Hier ist Tour-Guide Aivar Ruukel mit den Besuchern besonders gern unterwegs. Der Holzpfad schlängelt sich insgesamt 4,8 Kilometer lang mitten durch das Moor. Entlang der Strecke stehen Informationstafeln und sind Raststellen mit Bänken eingerichtet. „Ich finde, hier im Moor ist die Stille unseres Naturparks ganz außergewöhnlich ausgeprägt“, glaubt Aivar.
Wege durch das Moor Rastplatz im Moor
Den Einbaum zimmern mit der Axt
Fluss Navesti im Naturpark
Die Strecke im Moor führt an den Rand des Parks und an das Ufer des kleines Flusses Navesti. An der anderer Seite des Flusses steht das Holzhaus seiner Familie. In einer daneben liegenden rustikalen Holzscheune hat Aivar seine kleine private Tischlerei. Hier zimmert er wie schon seine Vorfahren Einbäume mit der Axt.
„Für den Bootsbau brauche ich einen gerade gewachsenen Baumstamm vom weichen Holz der Espe oder Linde, mit glatter Rinde ohne Äste. Die Stammlänge muss sechs Meter und der Durchmesser etwa 60 Zentimeter betragen“, erklärt Bootsbauer Aivar Ruukel. Im Sommer werde der Baum ausgewählt und im Winter zum Hochwasser im Wald im Schlepp eines anderen Einbaums nach Hause geschafft.
Tour-Guide und Bootsbauer Aivar Ruukel
Gegen Ende mancher Winter kommt viel Schmelz- und Regenwasser in das Flachland Soomaa und überschwemmt Feuchtwiesen, Wälder und Straßen. Eine Folge davon sind zahlreiche Hängebrücken für Fußgänger in ausreichender Höhe über dem Wasserspiegel der Flüsse. An einigen Stellen an Straßen und Flussläufen erinnern Pfähle mit Markierungen, wie weit in welchem Jahr das Hochwasser anstieg. Übrigens gibt Aivar in Seminaren sein Wissen über den Bau von einem Einbaum weiter.
Die Deutsche im Soomaa-Park
Dagmar Hoder, die Deutsche Foto: Dagmar Doms-Berger
Zu den vielen Esten und ihren Gästen, die sich für den Soomaa-Naturpark begeistern, zählt seit ihrem ersten Besuch im Jahr 2001 auch Dagmar Hoder aus Hamburg. Mittlerweile hat sie Mitstreiter gesucht und gefunden, einen Verein gegründet, in dem sie nun Projektleiterin ist, organisiert Kinder- und Jugendcamps. Dagmar lebt seit 15 Jahren hier im Land und spricht fließend estnisch, die Sprache mit 14 Fällen. „Nur das 'r' kann ich nicht perfekt rollen“, schätzt sie sich selbstkritisch ein. Ihr großes Ziel ist ein Jugendbauernhof, auf dem junge Leute arbeiten und Umweltwissen erwerben z.B. über alternative Stromerzeugung oder Kompostierung. Gerade junge Leute kommen gern zu ihr ins Camp, im Sommer erweitert mit Zelten. Sie wollen den Großstädten Ade sagen, hier ihre Ruhe finden, alternativ leben und essen beispielsweise Pizza aus ihrem Lehmofen. Nimmt man sich ein paar Wochen Zeit, trifft man auf Wegen und kleinen Waldstraßen häufig Hirsche, Elche und Kaninchen oder Mutter Wildschwein mit ihren Frischlingen im Schlepptau.
„Natürlich sind auch Touristen auf Riisa oder anderswo in Estland gern unsere Gäste“, so lautet die Einladung von Dagmar. Wir sind Ansprechpartner egal, ob es ums Pilze und Beeren sammeln geht, um naturnahes Kochen oder um Ausflugstipps. Ihr Geheimtipp sind zweifellos attraktive Orte für das Baden im Moor. Auf den flachen Moor-Flächen ist im Sommer meist etwas Wind, der, wie sie behauptet, die Mückenheerscharen etwas vertreibt. Um dem Moskito-Problem dieser Region zu entgehen, kommen viele der Estland-Fans in der Vor- oder Nachsaison, verpassen aber die langen Sommertage, in denen man bis zu 18 Stunden Sonne genießen kann. Die sprichwörtlich weißen Nächte beginnen hier bereits Anfang Mai.
Seebad Pärnu nicht so fern
Tor in Pärnu
In Estland gibt es keine großen Entfernungen, so beträgt die Ost-West Ausdehnung 350 und die Nord-Süd-Ausdehnung 240 Kilometer. Wer der Stille des Naturparks kurz einmal entfliehen will, hat es bis zum Seebad Pärnu, gegründet 1251 als Pernau in der Zeit des Deutschen Ordens, nicht allzu weit. Berühmt ist Pärnu durch seine Kur-Zentren, weiße Sandstrände, wunderschöne Parks und eine Strandpromenade, die von Bäumen gesäumt wird. Die Anlage der Stadt und viele ihrer Herrenhäuser und Villen möchten gern an das entspannte Flair des 19. Jahrhunderts erinnern.
Kurgja-Museum
Ganz anders das Kurgja Museum, das auf dem Weg in die Hauptstadt Tallinn gelegen, über die Geschichte der Bauern des Landes, der Nation Estland und seine blau-schwarz-weißen Landesfarben erzählt. Hier sind auch Ausstellungen Carl Robert Jakobson gewidmet, der in Estland nicht mit Waffen und Uniform, sondern als Schriftsteller, Publizist und Pädagoge vor 150 Jahren zum Nationalhelden des Landes aufstieg.
Tallinn – Magnet für Touristen
Wer Estland mit seiner Natur besucht, sollte es nicht versäumen, der Hauptstadt Tallinn seine Aufwartung zu machen. Die mittelalterlich geprägte Altstadt rund um den Rathausplatz und seine Tuchfühlung zur modernen Zeit fasziniert. Der Blick von den Aussichtsplattformen des Domberges auf die ausgebreiteten Kulturschätze von Tallinn und seine so vielgestaltige Architektur ist ebenso beeindruckend. Die Stadt an der Ostseeküste erweist sich – und das völlig zu Recht - als ein riesiger Touristen- Magnet, der noch zusätzlich durch die Gäste-Scharen der Kreuzfahrtschiffe verstärkt wird. Wem ist es angesichts dieses Tummelplatzes der Touristen aus aller Welt zu verdenken, wenn er sich aus der Hauptstadt Estlands wieder in seine Stille in den Soomaa-Naturpark zurücksehnt.
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