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Ronald Keusch

Stadt der Begegnungen

Torgau an der Elbe präsentiert spannende Historie und bunte Gegenwart




Elfenküche in der Landesgartenschau Torgau
Elfenküche in der Landesgartenschau Torgau


Die Stadt Torgau im Norden von Sachsen am Ufer der Elbe kann auf eine Reihe von historischen Begegnungen zurückblicken. Das hat die im 13. Jahrhundert erstmals urkundlich erwähnte Stadt mit vielen anderen Orten gemeinsam. Doch in Torgau ist wie in kaum einem anderen Provinzstädtchen ein welthistorischer Atem zu spüren. Da Torgau nur sehr wenige Zerstörungen im zweiten Weltkrieg erlitt, gilt zudem seine Innenstadt als ein Flächendenkmal. In der Stadt ist sogar ein Förderverein „Europa Begegnungen“ gegründet worden, der an die internationale Geschichte der Stadt erinnert.


Landesgartenschau mit Elbblick
Landesgartenschau mit Elbblick

Blumengemälde am Wegrand

Ein aktueller Ort für Begegnungen ist in Torgau seit Anfang April für 170 Tage die Landesgartenschau. Als Herz ihrer Gartenschau bezeichnen die Veranstalter zwei so genannte Glacis-Abschnitte. Der Begriff Glacis bezeichnet flache Erdaufschüttungen eines Geländes vor einem Festungsgraben. Hier ist damit ein Gelände gemeint, das die alten historischen Festungs- und Gartenanlagen der Stadt mit der Landschaft an der Elbe verbindet.

Der Weg führt vom Haupteingang der Gartenschau am Torgauer Bahnhof an der Glacis Eisbahnwiese entlang, einem Stadtpark, der bereits im 19. Jahrhundert angelegt wurde, mit einem kleinen fischreichen See in der Mitte. Dessen neugestaltetes Ufer lädt zu Vogelbeobachtungen ein und führt zu einem originellen Spielplatz mit einer riesigen Kranichfigur.


An der Eisbahnwiese, im Hintergrund der Kranich-Spielplatz
An der Eisbahnwiese, im Hintergrund der Kranich-Spielplatz

Unter hochgewachsenen Bäumen stehen am Wegrand lustige Märchen- und Troll-Figuren. Hier unternimmt der Besucher keinen Gartenrundgang, sondern einen Spaziergang durch einen Schatten spendenden Wald - bei einem heißen Sommertag für viele sehr angenehm. Gewissermaßen als Ergänzung zu den Baum-Alleen säumen den Weg einige Blumen-Gemälde auf Bildaufstellern, eine kleine Galerie mit bunten Farbtupfen in ansonsten grüner Natur, wo man die Blumen eher suchen muss.


Die Trolle Schlapps und Schlumbo am Wegrand Gemälde ersetzen Blumen


Grünes Klassenzimmer und Platz für Skater

Schließlich kommt der Besucher auf seinem Weg zur Eichwiese mit einem imposanten historischen Eichenbestand.

Gartenschau-Wegweiser
Gartenschau-Wegweiser

Hier sind eine Naturbühne, eine Skateranlage und ein „Grünes Klassenzimmer“ eingerichtet, für Entdeckungen in der Natur, wie es heißt. Am Wege steht auch ein Wegweiser zu früheren Orten der Landesgartenschauen in Löbau 2012, in Oelsnitz 2015 und der jetzigen in Beelitz 2022 – Gartenschau hat Konjunktur. Der Rundgang endet auf dem Konzertplatz. Hier sind Themengärten, Baumschulen und ein Dahliengarten platziert. Eine Blumenhalle ist bunt und fantasievoll bemalt und wirbt für ihren Besuch mit solchen Schlagzeilen wie Freuen am Duft der Blumen. Doch die gezeigte Schau an Blumen kann die Erwartungen auch im Vergleich mit anderen Gartenausstellungen in Brandenburg und Berlin kaum erfüllen.




Landesgartenschau - Weg unter Bäumen
Landesgartenschau - Weg unter Bäumen



Amerikaner und Russen geben sich die Hand

Das Ausstellungsgelände der Gartenschau führt bis an das Ufer der Elbe zu einem bekannten Ort historischer Begegnungen. Hier trafen am 25. April 1945 eine US-amerikanische und eine sowjetische Patrouille zusammen, geführt von Leutnant William Robertson und von Oberleutnant Alexander Silwaschko. Die Fotos an der Elbe in Torgau, einen Tag später mit anderen Soldaten geschossen, gingen damals um die Welt, ein Symbol des Sieges der Alliierten über Hitlerdeutschland.



An der Elbe Stadtführerin Birgit Wöste


US-Flagge aus Bettlaken gebastelt

Die Torgauer Stadtführerin Birgit Wöste kann eine Menge meist weniger Bekanntes über die Ereignisse erzählen. Bei dem ungeplanten Zusammentreffen US-amerikanischer und sowjetischer Soldaten haben beide Offiziere gegen Befehle ihrer Vorgesetzten verstoßen. Damals gab es keine Satellitenaufklärung mit GPS, die Frontlage war unübersichtlich, es bestand die Gefahr militärischer Hinterhalte. Der strikte Befehl lautete deshalb: Keinerlei Kontakte nach eigenem Ermessen. Doch US-Offizier Robertson glaubte den Aussagen britischer Kriegsgefangener, dass die russische Armee am östlichen Ufer angelangt sei. Daraufhin bastelte er aus einem Bettlaken eine US-Flagge und bewegte sich auf eine kurz zuvor von deutschen Wehrmachtssoldaten gesprengte Brücke zu. Sowjetische Soldaten erhielten durch einen russisch sprechenden und rufenden Amerikaner das Signal, dass US-Soldaten am anderen Ufer stehen. Daraufhin kletterten Amerikaner und Russen auf die zerstörte Brücke und umarmten sich in den Trümmern. Dann haben sie sich gemeinsam als Sieger gefeiert, es gab keine Sprachprobleme. Und der Krieg war endlich für sie zu Ende.



Erst Militärgefängnis, dann Beförderung

Für beide Offiziere hatte die Befehlsverweigerung zunächst ein Nachspiel, wie Stadtführerin Wöste weitererzählte. Leutnant Robertson saß erst einmal einen Tag im US-amerikanischen Militärgefängnis, ehe Oberbefehlshaber Eisenhower den Befehlsverweigerer Robertson zusammen mit seiner gebastelten US-Flagge in sein Hauptquartier nach Paris holte und sogar zwei Mal beförderte. Oberleutnant Silwaschko traf es härter. Ebenfalls zunächst vor einem Militärgericht, schied er nach kurzem Arrest aus der Armee aus. Im Jahr 1995 anlässlich des vierzigsten „Elbe-Days“ haben sich die beiden Offiziere, der Kriegsheld in den USA Robertson und der Grundschullehrer Silwaschko aus Russland in Torgau wieder getroffen. Beide wurden von der Stadt Torgau zu Ehrenbürgern ernannt. Ein anderer US-Soldat, Joseph Polowski, der ebenfalls an der Elbe im nahen Ort Strehla mit sowjetischen Soldaten im April 1945 zusammentraf, kämpfte sein Leben lang um einen „Weltfriedenstag“ am 25. April, ohne Erfolg. Er wollte unbedingt in Torgau begraben sein, und hat das gegen alle Bürokratien der USA und der DDR auch durchgesetzt.

An die Elbe-Begegnung 1945 wird seit 1990 in Form einer Friedensfeier und eines Volksfestes erinnert. Der Förderverein Europa Begegnungen hält die Erinnerung und den Friedensschwur an der Elbe hoch. Zumindest für einige Tage holt er damit den Friedenstraum der Veteranen des Krieges wie Polowsky, Robertson und Silwaschko ins Heute. Eine leise Stimme der Mahnung und des Friedens – für die Kriegsberichterstatter in den Mainstream-Medien ist das kaum eine Nachricht wert.



Sowjetisches Ehrenmal in Torgau
Sowjetisches Ehrenmal in Torgau

Der Geist der Elbe

An einer Seite des Elbe-Ufers auf dem Weg von der Landesgartenschau steht ein Denkmal, das die Sowjetunion nach dem 2. Weltkrieg aus Anlass des 25. April 1945 errichtete. An der Spitze aus Granit die Fahnen beider Länder und dazwischen zusammen gestellte Gewehre, deren Gewehrläufe alle nach oben zeigen. Auch auf der anderen Seite der Elbe ist im Jahr 1998 eine Gedenkstätte errichten worden. Auf einer Gedenktafel mit dem Titel „Der Geist der Elbe“ steht zu lesen:


„Hier wurde der Geist der Elbe geboren, der sich an alle Menschen aller Nationen wendet, Differenzen ausschließlich mit friedlichen Mitteln zu lösen. Er ist ewige Mahnung an alle Nationen, für das gemeinsame Wohl der gesamten Menschheit zusammenzuarbeiten.“


Die Gedenkstätte ist vom Memorialfond der 69. Infanterie-Division e.V. der USA und den sowjetischen Elbe-Veteranen errichtet worden.



Flaggen im Wind des Zeitgeistes

An der Gedenkstätte wurden drei Fahnen aufgestellt, die russische, die US-amerikanische und die deutsche Flagge. Als ich im Jahr 2016 im Luther-Jahr dort vor Ort war, wehten alle drei Fahnen noch im Wind. Mittlerweile sind die drei Flaggen entfernt worden und stattdessen hängen an den Fahnenmasten drei Regenbogen-Fahnen mit der Aufschrift „Peace“. Der Zeitgeist hat auch die Begegnungsstätte an der Elbe erreicht. Übrigens im Internet bei tic-torgau.de kommt die Historie noch zu ihrem Recht. Der Förderverein Europa Begegnungen e.V. hat in der Stadt Torgau eine ständige Ausstellung in der Schlossstraße 19 und ist natürlich auch im Internet vertreten.



Ausstellung Soldaten an der Elbe Historisches Foto der drei Flaggen an der Elbe (Jahr 2016)

Die Feierlichkeiten des Elbe-Days wurden in diesem Jahr abgesagt, mit der lapidaren Begründung, dass die aktuelle Lage in der Ukraine für eine derartige Zusammenkunft nicht passend sei. Die Stadtverwaltung hat damit eine Chance verpasst, ein klares Zeichen für eine Beendigung des Krieges und für Verhandlungslösungen zu setzen.



Schlossturm des Schlosses Hartenfels Aufgang zum Wendelstein


Das prächtige Renaissanceschloss Hartenfels

Der Weg von der Gartenschau und dem sowjetischen Denkmal führt direkt zu einem architektonischen Meisterwerk, dem Renaissanceschloss Hartenfels. Es ist das Schloss von Johann Friedrich I., der „Großmütige“, Kurfürst von Sachsen. Der Wettiner ist in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein mächtiger Fürst und der Anführer der Protestanten. Torgau wird die Machtzentrale im Ringen um Luthers Reformation und das Schloss zu einer Residenz ausgebaut. In ganz Deutschland wurde sein Vorgänger, der in Torgau geborene Kurfürst Friedrich III., der „Weise“, mit seiner genialen Idee dadurch bekannt, eine Entführung von Martin Luther vorzutäuschen und ihn auf der Wartburg als Junker Jörg eine Zeit lang vor der Verfolgung der Katholischen Kirche in Rom zu verstecken.



Der Wendelstein - eine architektonische Meisterleistung
 Der Wendelstein - eine architektonische Meisterleistung

Besonders berühmt und Anziehungspunkt für die Touristen ist der Große Wendelstein. Dabei handelt es sich um eine freitragende Wendeltreppe, eine damals revolutionäre Lösung, die neuen statischen Prinzipien unterliegt. Eine einzigartige Architektur, die auch herrschaftliche Repräsentation übermitteln will.


In der Schlosskapelle
In der Schlosskapelle

Luther entwarf Schlosskapelle

Ganz anders die Bedeutung der Schlosskapelle. Sie ist der erste Neubau eines protestantischen Gottesdienstraumes nach der Reformation. Luther hat diese Kirche entworfen als Ort der Andacht. Eine klare Absage an Protz und Pomp der katholischen Kirche. Das zeigt sich besonders in der Schlichtheit des Altars sowie der unmittelbaren Nähe zu den privaten Wohnräumen des Fürsten und seiner Frau. Und der Altar steht unüblicherweise im Westen der Kapelle. Neben den bildkünstlerischen Arbeiten an Kanzel und Altar sind in der Schlosskapelle weitere Werke aus der Wittenberger Cranach-Werkstatt zu sehen.



Besucher können Kanone mit Kugeln laden

Doch das Schloss Hartenfels will nicht nur bei den hochrangigen historischen Begegnungen, verbunden mit den Namen Luther und Cranach, stehen bleiben. Es will ein Schloss zum Anfassen auch für die Familie sein. So feiern neue moderne Formen und Technologien der Museums-Ausstellungen hier geradezu ein Fest.


Kanone zum Selbstladen
Kanone zum Selbstladen

Wenn der Besucher den Wendelstein erklimmt, erreicht er den Raum eines früheren Geschützbatterie-Turms mit einer Kanone vor einer angedeuteten Schießscharte in der Wand. Hier kann nun der Besucher mit seinem jugendlichen Anhang mit bereit liegenden Kugeln die Kanone, nach dem Lesen einer kurzen Beschreibung, laden und abfeuern. Es wird auch auf eine Gefahr hingewiesen: Die Kugel beim Laden nicht auf die eigenen Füße fallen lassen. Außerdem ist eine Reiterspindel in der unteren Etage des Flaschenturms zu begutachten. Sie ließ Fürst Friedrich einbauen, um auf einer Reitertreppe bequem in seinen Wohnraum reiten zu können. Beeindruckend auch eine Installation, die vor vier Jahren eingerichtet wurde. Darin beginnt das Bild des Kurfürsten Friedrich zu sprechen, sein Mund bewegt sich. Er beklagt sich unter anderem über seinen Vetter, den Herzog von Sachsen, an den er viele seiner Ländereien und das schöne Schloss Hartenfels verlor.




Kurfürst Johann Friedrich I. und seine Frau Sibylle Martin Luther


Wird Torgau für Tourismus wach geküsst?

Aber der große Wendelstein hat nicht nur weltweit Architekten in Verzücken versetzt, sondern diente auch als Kulisse eines besonders berühmten Films. Dieses Mal nicht aus Hollywood, sondern von der DEFA Babelsberg in dem legendären Märchenfilm „Dornröschen“ der Gebrüder Grimm aus dem Jahr 1971. Nach der Tristesse der Pandemiemaßnahmen, auch in Torgau haben sich die Touristenzahlen ausgedünnt, sind die Stadtväter von Torgau auf die Idee gekommen, dass ihre Stadt wachgeküsst werden soll. So wurde in diesem Frühjahr die Ausstellung „Dornröschen – das Märchenschloss im Blütentraum“ im Schloss Hartenfels eröffnet. In der Ausstellung kann man in einem interaktiven Bilderbuch blättern und sich die Grundmotive des Märchens in verschiedenen Ländern Europas betrachten. Außerdem ist die Rosenblüte ein Thema, auch mit Bezügen zu den Rosen in der Blumenschau der Gartenausstellung, sowie das alte Handwerk des Spinnens einschließlich der Bedeutung des Flachses. Eine Ausstellung, die in ein Märchenschloss der Renaissance gut hineinpasst. Jetzt können die aufgeweckten Touristen kommen.




Die Pressereise nach Torgau wurde auf Initiative der CTOUR-Reisejournalisten von der Leipziger Tourismus & Marketing GmbH veranstaltet.

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