Wahlkampf mit Tucholsky
- Claudia und Ronald Keusch
- 14. Aug.
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 26. Aug.
Das Tucholsky-Museum in Rheinsberg braucht weder Schmutzkampagnen noch Petitionen, sondern eine langfristige stabile Finanzierung !

„Rettet Tucholsky !“ titelt die taz am 9. August und macht sich damit zum Sprachrohr einer Gruppe von Autorinnen und Autoren, die meinen, das Tucholsky-Museum in Rheinsberg gegen „die Feinde der Demokratie“, verteidigen zu müssen, denn „der Wind weht scharf von rechts“, wie es in dem Beitrag steht. Damit werden die Stadt Rheinsberg und ihre mit Mehrheit gewählten Mandatsträger um Bürgermeister Frank-Rudi Schwochow (BVB/Freie Wähler) mal schnell mit einem Federstrich in die rechte Ecke gestellt, es wird weder die Faktenlage um das Museum erörtert, noch auf die Stellungnahme der Stadt eingegangen, mit der diese sich am 11. Juli genötigt sah, gegen Falschinformationen in der Öffentlichkeit vorzugehen.
Stadt Rheinsberg trägt Dreiviertel der Kosten für das Tucholsky-Museum
Zu den Fakten: Die Stadt Rheinsberg ist Träger des Kurt Tucholsky Literaturmuseums und trägt Dreiviertel der Personal- und Sachkosten. Der restliche Finanzbedarf wird durch Beihilfen vom Landkreis Ostprignitz-Ruppin und vom Land Brandenburg gedeckt. Wie auch in anderen Gemeinden in Deutschland ist die Haushaltslage der Stadt Rheinsberg sehr angespannt und sie unterliegt einem freiwilligen Haushaltssicherungskonzept. So wird seit 2023 auch nach Wegen gesucht, um die Zukunft des Museums zu sichern und das Haus im Sinne Tucholskys als literarischen Begegnungsort im Geist von Toleranz und Verständigung lebendig zu halten. Eine mögliche Lösungs-Variante ist die Übernahme der Trägerschaft durch den Landkreis, was aber nur dann erfolgversprechend ist, wenn zugleich die Finanzierung des Museums gesichert und die Stadtkasse entlastet wird.
Eine Arbeitsgruppe wurde gebildet, in der Mitglieder aller Fraktionen und der stellvertretende Bürgermeister mitwirken. Erste Verhandlungen zur Übernahme der Trägerschaft durch den Landkreis fanden statt, doch die Übernahme scheiterte bisher an der Vertragsgestaltung – kurz gesagt: Die Stadt sollte die Trägerschaft an den Landkreis übertragen, aber weiter zahlen. Und das in einer Situation, wo die Stadt unvermeidbar steigende Aufwendungen zu schultern hat, geschuldet der hohen Inflation, schwacher Konjunktur und steigender Tarif-, Energie- und Sozialkosten. Und darüber hinaus sind auch dringende Investitionen notwendig, zum Beispiel beim Brandschutz, in den Schulen im Rahmen des Digitalpakts oder bei der Sanierung von Straßen und Brücken. Die Stadt muss aber im Rahmen des Haushaltssicherungskonzeptes auch Sparmöglichkeiten darstellen, zum Beispiel durch den effizienteren Einsatz von Verwaltungskräften.
Es ist also eine völlig legitime Entscheidung der Stadt, die Ämter für Kultur und Tourismus unter einer Leitung zusammenzuführen. Ellen Krukenberg, eine ausgewiesene Fachfrau für Tourismus und Öffentlichkeitsarbeit mit 30jähriger Berufserfahrung hat dieses Amt am 1. Januar 2025 übernommen, nur um sich sofort Vorwürfen ausgesetzt zu sehen, dass sie mit dieser Entscheidung „politische Kontrolle“ (taz) über das Museum ausübe.
Wie haltlos und absurd dieser Vorwurf ist, sieht man daran, dass die Mehrzahl der Museen in Deutschland in der Trägerschaft von Städten und Gemeinden liegt und diese zumeist als Teil der Kulturarbeit in den Gemeinden betrieben werden. Dazu gehören auch Literaturmuseen und Gedenkstätten, wie das Gerhart-Hauptmann-Museum in Erkner, oder das Bertolt-Brecht-Haus in Buckow, gar nicht zu reden von den zahlreichen Privatmuseen, wie der Liebermann-Villa und dem Dali-Museum in Berlin, dem Mia- und Hermann-Hesse-Haus in Gaienhofen oder dem Brandburg-Preußen-Museum in Wustrau. Und im übrigen: Fast keine Kommune leistet sich mehr den Luxus, ein separates Amt für Kultur zu haben, selbst die viel größere Nachbarstadt Neuruppin hat Kultur und Tourismus unter einem Dach vereint. Aber um Logik und Sinnhaftigkeit geht es hier auch nicht, sondern nur um eine Kampagne, mit der die ernsthafte Arbeit in Rheinsberg diffamiert wird.
Schloss Rheinsberg

Tucholsky inmitten von Parteipolitik und Wahlkampf
Und die mediale Kampagne nahm weiter Fahrt auf, Parteipolitik und Wahlkampf kamen ins Spiel. Der SPD-geführte Landkreis stellte Ultimaten zu einer sofortigen Unterzeichnung eines Übernahmevertrages. Der Kulturrat setzte das Museum auf die Rote Liste der von Schließung bedrohten Museen und die Akademie der Künste setzte ihre langjährige Kooperation mit dem Museum bis auf Weiteres aus. Die Erklärungen waren in allen Fällen ähnlich, die AdK begründete ihren Schritt damit, „dass das Museum und die Sammlung ohne qualifizierte und wissenschaftliche Leitung nicht mit demselben Anspruch“ fortgeführt werden könnten und dass das Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm mit überregionalen Künstlerinnen und Autoren blockiert werde.
Interessanterweise traf die AdK diese Entscheidung genau zu dem Zeitpunkt, als die Stadt Rheinsberg den neuen wissenschaftlich-künstlerischen Projektleiter des Tucholsky-Museums vorstellte. Unter dem großen finanziellen Druck hatte die Stadtverordnetenversammlung zunächst am 23. Oktober 2023 beschlossen, die durch den Ruhestand des langjährigen Museumsleiters Dr. Peter Böthig freiwerdende Stelle ab März 2024 nicht wieder durch eine wissenschaftliche Fachkraft zu besetzen. Doch im vergangenen Jahr setze auch hier ein Umdenken ein und die Stelle wurde im April 2025 neu ausgeschrieben und dann besetzt: Seit dem 15. Juli 2025 ist Peter Graf im Amt.
Peter Graf an seinem neuen Arbeitsplatz im Marstall vom Schloss Rheinsberg

Peter Graf, studierter Kulturmanager, ist vielfach ausgezeichneter Publizist und Verleger, unter anderem erhielt er den Deutschen Verlagspreis und den Berliner Verlagspreis. Schwerpunkt seiner publizistischen Tätigkeit ist das Wiederveröffentlichen von Romanen, Tagebüchern und Sachbüchern aus der Zeit der Weimarer Republik und aus dem Bereich der Exilliteratur. Etliche der von ihm wiederentdeckten und neu herausgegebenen Bücher wurden als „literarische Sensationen“ gewürdigt und zu internationalen Bestsellern. Viele der durch Verfolgung und Vertreibung vergessenen deutschsprachigen Schriftstellerinnen und Schriftsteller entstammten dem Umfeld Kurt Tucholskys und dem „Weltbühne-Kosmos“. Peter Graf ist sehr gut im deutschsprachigen Literaturbetrieb vernetzt und verfügt über exzellente Kontakte zu Verlagen, Medien und Autoren. Selbst die taz kommt in ihrem Beitrag nicht umhin, Peter Graf als eine „sinnvolle Besetzung“ zu bezeichnen.
Zu allem Überfluss startete vor einem Monat auch noch die Partei Bündnis 90/ Die Grünen eine Petition „Rettet das Tucholsky Museum“ und inszenierte medienwirksam die Unterzeichnung von Prominenten, wie der SPD-Politikerin und Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke. Dieser Slogan machte dann in den Massenmedien seine Runde, eine glatte Lüge, denn niemand in Rheinsberg hat je die Existenz des Museums in Frage gestellt. Übrigens: Zur letzten Kommunalwahl im Juni 2024 erhielten in Rheinsberg die Grünen 3,2% der abgegebenen Stimmen, die Freien Wähler 44,6%.
Wie kann der Finanzbedarf von jährlich rund 300.000 Euro gesichert werden?
Selbst wenn ein Wechsel der Trägerschaft von der Stadt zum Landkreis stattfindet – ist das dann die erhoffte langfristige Sicherheit für das Kurt Tucholsky Literaturmuseum?
Ein Blick in den Finanzplan der Stadt Rheinsberg zeigt, dass selbst mit den Einsparungen durch die Zusammenlegung von Verwaltungsfunktionen ein jährlicher Finanzbedarf allein für den Betrieb des Museums von rund 300.000 Euro bleibt. Bei einem Gesamt-Finanzhaushalt von rund 20 Millionen Euro ist das keine kleine Summe, die von der Stadt zu stemmen ist. Das Land Brandenburg und der Landkreis Ostprignitz-Ruppin tragen gerade mal mit 65.000 bzw. 15.000 Euro zum Erhalt des Museums bei.
Demgegenüber kann der Landkreis mit einem Gesamt-Finanzhaushalt von rund 380 Millionen Euro komfortabler wirtschaften. In der Haushaltsplanung für das Jahr 2025 geht der Landkreis davon aus, dass er für das Tucholsky-Museum eine Zuweisung vom Bundesland Brandenburg von 200.000 Euro erhalten wird, also gut das Dreifache des Betrages, den das Land Brandenburg im Augenblick der Stadt Rheinsberg als Förderung zugesteht. Ansonsten kommt das Tucholsky-Museum in der Haushaltsplanung des Landkreises nicht vor, erstaunlich, hatte der Landkreis doch schon im Jahr 2023 vor, das Museum zu übernehmen.

Hatte man von Anfang an vor, die Stadt auf den Kosten sitzen zu lassen und sich nur mit dem Ruhm der Trägerschaft zu schmücken? Geht es hier noch um die Sache – um den Erhalt und eine ordentliche finanzielle Ausstattung des Museums – oder ist das Parteipolitik des SPD-geführten Landkreises Ostprignitz-Ruppin gegen die von den Freien Wählern geführte Stadt Rheinsberg? Wahlkampf auf dem Rücken des Erbes von Tucholsky?
Kleist-Museum Frankfurt Oder – finanziert zu 95% von Land und Bund
Schauen wir uns andere Beispiele aus dem Land Brandenburg an, wo der Fortbestand von Kultureinrichtungen langfristig gesichert wurde.
Im Jahr 2018 wurde das weltweit einzige Kleist-Museum in Frankfurt/ Oder in eine öffentlich-rechtliche Landesstiftung überführt. Medial wurde das mit viel Lob bedacht und die damalige Kulturministerin von Brandenburg Martina Münch erklärte zur Gründung: „Mit der Landesstiftung wollen wir die wissenschaftliche Arbeit verstärken, die Aktivitäten zur kulturellen Teilhabe ausbauen und innovative Projekte und Ausstellungen ermöglichen. … Jede Brandenburgerin, jeder Brandenburger soll Zugang zu attraktiven kulturellen Angeboten und unserem reichhaltigen kulturellen Erbe haben.“ Eine Begründung, die man heute wortwörtlich auch für das einzige Tucholsky-Museum in Deutschland anwenden könnte, wenn denn der politische Wille da wäre.
Der Finanzbedarf des Kleist-Museums beträgt in diesem Jahr knapp 1,5 Millionen Euro, davon werden 95% von Land und Bund finanziert, die Stadt Frankfurt beteiligt sich mit 80.000 Euro. 13 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind beim Kleist-Museum angestellt und kümmern sich um die Sammlungen und Publikationen zu Person und Werk von Heinrich von Kleist.
Eine ähnliche Lösung wurde für die 2014 gegründete Musikkultur Rheinsberg gGmbH gefunden, eine Fusion von Kammeroper Schloss Rheinsberg und Musikakademie. Hauptaufgaben der Gesellschaft sind die Erhaltung und Weiterentwicklung künstlerischer Profile der Musikakademie Rheinsberg als Ausbildungsstätte für professionelle und Laienmusikerinnen und -musiker, der Kammeroper und dem Schlosstheater. Sie hat einen gesamten jährlichen Finanzbedarf von knapp 4 Millionen Euro und das Land Brandenburg trägt 80% der erforderlichen Zuschüsse.
Der große Ausstellungsraum des Tucholsky-Museums

Land und Bund müssen in die Pflicht genommen werden !
Diese zwei Beispiele zeigen, dass es Lösungen gibt, wenn Bund, Land, Landkreis und Stadt an einem Strang ziehen. Die gute Nachricht ist: Das Tucholsky-Museum benötigt nur einen Bruchteil der Fördersummen für das Kleist-Museum oder die Musikkultur in Rheinsberg. Und so ist auch die Hoffnung des neuen wissenschaftlich-künstlerischen Projektleiters Peter Graf: „Die Situation für die Kommunen ist in jedem Fall schwierig, im Landkreis ist die Situation sicher ähnlich. Es muss eine auf Dauer tragfähige finanzielle Lösung geschaffen werden, und dafür muss man das Bundesland Brandenburg und den Bund mehr in die Pflicht nehmen, Verantwortung für das einzige Tucholsky-Museum in Deutschland zu übernehmen.“ Das ausführliche Interview mit Peter Graf ist hier zu finden: www.keusch-reisezeiten.de/post/2025-08-neuruppin-drei-museen-ticket
Auf Peter Graf kommt viel Arbeit zu: Die Dauerausstellung ist 20 Jahre alt, sie müsste aktualisiert werden. Es gibt mittlerweile neue technische Möglichkeiten, um das ganze Werk von Tucholsky sichtbar zu machen. Und es gibt hochinteressante Themen mit Bezug zur Gegenwart, zum Beispiel die Rolle Tucholskys als politischer Journalist. Es bietet sich geradezu an, die Positionen Tucholskys gegen Militarismus und Krieg auch in der Ausstellung weiter zu thematisieren.
Die folgenden Wochen bis zur Bürgermeisterwahl in Rheinsberg im September werden zeigen, ob auch weiterhin nur Defizite von rechts nach links geschoben werden oder ob es zu einer auf Dauer tragfähigen Finanzlösung kommt. Zu befürchten ist allerdings, dass medial weiterhin der Stadt Rheinsberg der Schwarze Peter zugeschoben wird. Wahlkampf eben.
Quellenangaben:
Artikel in der taz vom 9.8.2025: https://taz.de/Tucholsky-Museum-in-Rheinsberg/!6102712/
Pressemitteilung der Stadt Rheinsberg zum Tucholsky-Museum vom 11.7.2025: https://verwaltung.rheinsberg.de/news/1/1092874/nachrichten/zur-aktuellen-situation-des-kurt-tucholsky-literaturmuseums-in-rheinsberg-und-seiner-zukunft.html
Haushalt des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg 2025/26: https://mdfe.brandenburg.de/sixcms/media.php/9/06_Ministerium%20f%C3%BCr%20Wissenschaft%20Forschung%20und%20Kultur_2025-26.pdf
Haushalt der Stadt Rheinsberg 2025/26 – Details per Haushaltstitel: https://daten.verwaltungsportal.de/dateien//publicizing/7/7/0/4/9/TeilHH_25-26.pdf
Haushaltsplan des Landkreises Ostprignitz-Ruppin: https://www.ostprignitz-ruppin.de/media/custom/3039_3944_1.PDF?1733122762
Von Bündnis 90/ Die Grünen initiierte Petition „Rettet das Tucholsky-Museum“ https://weact.campact.de/petitions/rettet-das-tucholsky-museum-in-rheinsberg
Weitere Erklärung von Bündnis 90/ Die Grünen nach Einsetzung von Peter Graf vom 15.7.2025: https://www.buendnisgruenes-opr.de/home/home-single/tucholsky-museum-in-gefahr-bereits-mehr-als-2200-menschen-fordern-erhalt-und-eigenstaendige-leitung
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