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Unendliche Quelle der Fantasie

  • Ronald Keusch
  • vor 5 Tagen
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: vor 1 Tag

„Einhorn. Das Fabeltier in der Kunst“ im Museum Barberini in Potsdam



Dario di Giovanni zugeschrieben: Jungfrau mit Einhorn (Portrait der Caterina Corner als Allegorie der Keuschheit), um 1467/68,

Tempera auf Holz, Keresztény Múzeum Esztergom    © Museum Barberini

Dario di Giovanni zugeschrieben: Jungfrau mit Einhorn (Portrait der Caterina Corner als Allegorie der Keuschheit), um 1467/68,   Tempera auf Holz, Keresztény Múzeum Esztergom  

Das Museum Barberini in Potsdam hat mit der Eröffnung der Ausstellung „Einhorn. Das Fabeltier in der Kunst“ einmal mehr für einen Paukenschlag in der Kunst-Szene gesorgt. „Das Einhorn hat Spuren in der Kunstgeschichte hinterlassen wie kein anderes Tier oder auch Fabeltier“, so Ortrud Westheider, Direktorin des Barberini-Museums. „Es ist kein x-beliebiges Tier, sondern ein magisches Tier und für die Kulturen durch die Jahrhunderte und Jahrtausende ein zentrales Motiv. Neben unseren großen Darstellungen zu den impressionistischen Schwerpunkten präsentieren wir deshalb in unserem Haus eine solche umfassende Themenausstellung.“


Links: Hans Reisinger, Gießer: Springendes Einhorn, vor 1589, Gelbguss auf Holzsockel, Grünes Gewölbe Dresden    © Museum Barberini

Rechts: Italienisch (Veneto): Jungfrau mit Einhorn, um 1510, Öl auf Leinwand, Rijksmuseum, Amsterdam  © Museum Barberini


Vor sechs Jahren wurde die Idee zu dieser großen Ausstellung geboren, die jetzt insgesamt 150 Werke umfasst. Die Liste von 80 Leihgebern aus dem In- und Ausland vereinigt die Prominenz der Ausstellungsszene mit einer Reihe von kleinen oder weniger bekannten Museen. Zu den Leihgebern zählen das Ashmolan Museum in Oxford, die Gallerie degli Uffizi in Florenz, das Dresdener Grüne Gewölbe, das Musée du Louvre in Paris, das Metropolitan Museum of Art in New York wie auch die Staatliche Kunstsammlung in Schwerin.

 

Bei der Vorbereitung der Ausstellung in Potsdam gab es eine enge Zusammenarbeit mit dem Musée de Cluny – musée national du Moyen Age Paris. Die Direktorin Séverine Lepape hat zur Eröffnungspressekonferenz der Ausstellung in Potsdam für die deutschen Kunstinteressierten einen erfreulichen Hinweis. Alle diejenigen, die es nicht bis zum 1. Februar 2026 zur Einhorn-Ausstellung nach Potsdam schaffen, können ihren Besuch dann vom 13. März bis zum 12. Juli nächsten Jahres bei der zweiten Station der Ausstellung in Paris nachholen.


Links: Séverine Lepape, Direktorin des Musée de Cluny – musée national du Moyen Âge, Paris

Rechts: Michael Philipp, Chefkurator des Museum Barberini, Potsdam    © Ronald Keusch


Der Chefkurator des Barberini Museums Potsdam, Michael Philipp, hat dieses Projekt von Anfang an verantwortlich betreut. „Das Einhorn ist ein großes Thema in der Kunstgeschichte“, so die Einschätzung von Philipp. Und er zitiert dazu den deutschen Kunsthistoriker Aby Warburg, der den Begriff Bilderfahrzeug prägte, um die Wanderung und Wirkung von Bildmotiven durch verschiedene Zeiten und Kulturen zu beschreiben. Und so urteilt Philipp: „Das Einhorn ist solch ein Bilderfahrzeug, das durch die Jahrhunderte transportiert wird.“

Dieses Bilderfahrzeug Einhorn zieht auch durch außereuropäische Kulturen. Die Vorstellung vom Einhorn stammt ursprünglich aus Indien und verbreitete sich von dort nach Tibet, China, Japan, Persien, Ägypten und schließlich nach Europa. Das älteste Objekt der Ausstellung ist 4000 Jahre alt und stammt aus dem Indus-Tal.

Insgesamt erhielt das Einhorn viele Bedeutungen. In der europäischen Wahrnehmung war es christlich geprägt. Es wurde häufig zusammen mit einer jungen Frau dargestellt, galt als ein Zeichen für Reinheit und Keuschheit und wurde zur Allegorie des zentralen christlichen Mysteriums, der Menschwerdung Gottes. So fand dann das Einhorn Eingang in die Gebetsbücher, es fehlte in keiner Klosterbibliothek und auf fast keinem Altarbild.

Alte Apothekengefäße für medizinisches Einhornpulver, um ca. 1740,

Deutsches Apotheken-Museum Heidelberg   © Ronald Keusch

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In früheren Jahrhunderten machte das Einhorn auch eine medizinische Karriere. So galt das Horn des Einhorns als wundertätiges Mittel gegen alle Krankheiten und sein Pulver wurde in Apotheken gehandelt. Immerhin gab es einen Placebo-Effekt, der wirksam werden konnte.

Bis ins 17. Jahrhundert wurde noch an eine Existenz vom Einhorn geglaubt. In den Kunstkammern lagen schließlich 50 vollständig erhaltene vermeintliche Hörner von Einhörnern. Außerdem wurde das Einhorn in der Bibel zitiert und was dort drinsteht, muss ja wahr sein, es ist Gottes Wort. Schließlich konnten Naturforscher diesen Fake-News ein Ende setzten: Die Hörner des Einhorns waren in Wahrheit die Stoßzähne von Narwalen. Parallelen in die Neuzeit der Menschheitsgeschichte drängen sich auf.


Links: Luca Longhi: Junge Frau mit Einhorn, 1535-1540, Öl auf Holz, Castel Sant’Angelo Rom   © Ronald Keusch

Rechts: Kopie nach Tizian: Orpheus bezaubert die wilden Tiere, 1562–1601, Öl auf Leinwand, Museo Nacional del Prado, Madrid   

© Museum Barberini


Insgesamt ist das Einhorn im Barberini-Museum in neun Sälen unterwegs in Form von Gemälden, Zeichnungen, Druckgraphiken, illuminierten Manuskripten, Plastiken, Tapisserien und Video-Installationen. Zu allen Kapiteln dieser umfangreichen Schau geben knapp formulierte Informationstafeln einen guten Überblick. So wird das Einhorn in der christlichen Bildwelt gezeigt. Und in der theologischen Tierkunde heißt es: Das wilde Tier könne nur von einer Jungfrau gefangen werden, in deren Schoß es zur Ruhe komme. Das Einhorn stehe für Jesus, die Jungfrau für Maria.


links: Maerten de Vos: Einhorn, 1572, Öl auf Eichenholz, Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Schwerin

rechts: Arnold Böcklin: Das Schweigen des Waldes, 1885, Öl auf Holz, Muzeum Narodowe w Poznaniu, Posen    © Museum Barberini


Weitere Kapitel widmen sich dem Einhorn in Reiseberichten und der Tierkunde, dem Einhorn in der Heilkunde, dem wehrhaften und streitbaren Einhorn, und schließlich dem Einhorn in der Kunst des 19. Jahrhunderts. Nachdem das Einhorn um das Jahr 1600 aus der Malerei verschwand, wurde es 300 Jahre später als Motiv ohne überladene Symbolik wieder entdeckt. Dafür stehen Arbeiten des Malers Arnold Böcklin, in denen das Einhorn als Türhüter für die Fantasie fungiert. So in der Potsdamer Ausstellung zu sehen das Gemälde „Das Schweigen des Waldes“.

Die Ausstellung „Einhorn. Das Fabeltier in der Kunst“ bereitet dieses Thema erstmals in dieser Breite und Tiefe museal auf und erschließt neue kunsthistorische Perspektiven. Zu allen Kapiteln wurden umfangreiche Schriftquellen von antiken Schriftstellern, Theologen, Naturforschern und Medizinern gesichtet, übersetzt und interpretiert. Es entstand ein umfangreicher 400-seitiger Katalog mit Original-Texten und wissenschaftlichen Aufsätzen.

Ein Resümee dieser umfassenden Ausstellung im Museum Barberini lautet: Wie kein anderes Tier hat das Einhorn die Fantasie vieler Künstlergenerationen angeregt. Besonders der kulturhistorisch interessierte Besucher kann sich von dieser informativen Schau auch inspirieren lassen.

 


Expertengespräch zur Ausstellung:


Fotos: Museum Barberini (6), Ronald Keusch (4)




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