ÖPNV kaputtgespart, Dauerbaustellen, kein A100-Ausbau, keine Benziner in die Innenstadt, Friedrichstraße wieder zugesperrt – aber Fahrradstreifen grün angestrichen !
Es ist der erste Februar. Die Berliner Zeitung meldet, dass die S-Bahn-Linien zwischen Ostbahnhof und Alexanderplatz unterbrochen sind und es außerdem eine Signalstörung zwischen Storkower und Frankfurter Allee gibt. Mal wieder, wie fast täglich, ist der Osten der Stadt verkehrstechnisch nicht erreichbar. So wie auch die U1 von der Warschauer Straße nach Kreuzberg nicht mehr fährt, Schienenersatzverkehr auch bei der U2 in Mitte, der U6 nach Tegel, der Nord-Süd-Bahn, so wie auch bei den Tram-Linien M1 zur Friedrichstraße oder der M17 nach Köpenick. Immerhin, S-Bahn und BVG haben Websites eingerichtet, auf denen alle Verkehrsstörungen aufgelistet sind. Die Liste bei der BVG ist 100 (!) Bildschirm-Seiten lang.
Der Nahverkehr in Berlin liegt am Boden, die 9- und 29-Euro-Tickets haben ihm den Rest gegeben. Es wird ja auch nicht gegenfinanziert, nicht investiert, es gibt jahrelange Dauerbaustellen, bürokratische Hürden bei Ausschreibungen und ausgedünnte Linien wegen Personalmangels. Mit einem Wort: Kaputtgespart. Und keine Änderung in Sicht.
Zeitenwende im Verkehrswesen mit den Grünen – Rückschritt statt Fortschritt
Was macht die Senatorin für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz Bettina Jarasch ? Sie verkündet - nein, nicht eine Investitionsoffensive für den ÖPNV, nein, keine neuen S- oder U-Bahnlinien, nein, keine Taktverdichtung auf 90 Sekunden, nein, nicht ein neues Park&Ride-Konzept, nein, nicht die Anschaffung Tausender neuer Busse und Bahnen und auch nicht die Einstellung von mehr Personal – sie verkündet, dass im Innenstadt-Bereich von Berlin ab 2030 nur noch E-Autos fahren dürfen. Und dass es einen Ausbau der Autobahn A100 mit ihr nicht geben wird.
Machen wir eine kurze Hochrechnung, wie viele Berliner und Pendler das betreffen wird. In Berlin sind Stand Oktober 2022 1,24 Millionen PKW zugelassen, davon 1,13 Millionen Benziner oder Diesel. Nur 9% der zugelassenen Autos sind Hybride, Gas oder Elektroautos, gerade mal 1,7% sind reine E-Autos (1). Innerhalb des Berliner S-Bahn-Rings wohnen 30% der Einwohner von Berlin (2). Nun gibt es – da Berlin nur eine Zulassungsstelle hat - keine separaten Zulassungszahlen für die Innenstadt, aber selbst wenn wir großzügig annehmen, dass die Dichte der PKW-Halter in der Innenstadt nur halb so groß ist wie der allgemeine Berlin-Durchschnitt, dann sind immer noch 170.000 Halter in der Innenstadt direkt davon betroffen. Das heißt, Frau Jarasch hat diesen Besitzern von Benzinern oder Dieseln gerade erklärt, dass sie in den nächsten 7 Jahren auf ein E-Auto umsteigen müssen, oder ihr Auto abzuschaffen haben. Dritte Alternative: Wegziehen und den Wohnraum für die Grüne Klientel freimachen. Eine Anmaßung allerersten Ranges. Die übrigen betroffenen 900.000 Berliner PKW-Besitzer, die außerhalb der Innenstadt wohnen, müssen sich – sofern sie in der Innenstadt arbeiten oder diese passieren müssen - ebenfalls ein E-Auto anschaffen, oder den ÖPNV benutzen. Und dann kommen noch die rund 270.000 Pendler aus Brandenburg hinzu, die in Berlin ihren Arbeitsort haben, viele von ihnen auch im Zentrum von Berlin (3). Nicht wenige von ihnen fahren täglich mit dem Auto, weil ihr Wohnhaus eben nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar ist.
Hat man sich eigentlich gefragt, wo denn die eine Million Autofahrer ihre Autos laden sollen und was das für den Stromverbrauch bedeutet ? Hat man sich gefragt, was es für den Nahverkehr bedeutet, wenn die Fahrgastzahlen mal locker um 50% steigen, wo jetzt schon Bus- und Bahnfahrer überall fehlen ? Hat man sich in der Politik gefragt, ob die Bürger diese geplante Einschränkung des Individualverkehrs und die damit einhergehende Verringerung ihrer Mobilität nicht als Rückschritt empfinden ?
ÖPNV in London und Berlin
Als Vorbild für ihre Anti-Auto-Politik sieht Frau Jarasch Metropolen auf der ganzen Welt, die „Konzepte für Verkehrsberuhigung und autofreie Innenstädte“ umsetzen, „von New York über London, Paris, Madrid und Brüssel bis nach Singapur.“ (4)
Schauen wir in die Metropole London. Es ist richtig, in London fährt so gut wie kein Privatauto in die Innenstadt. Erstens: Es gibt eine Maut – und die ist hoch, 15 Pfund pro Tag. Zweitens: In der Innenstadt herrscht Dauerstau, die Straßen sind eng, man kommt kaum vorwärts, Parkplätze sind ohnehin Fehlanzeige. Drittens: Es gibt ein gut funktionierendes, schnelles und zuverlässiges U-Bahn-System. Zur Rush-Hour fahren die Züge teilweise im 60 Sekunden-Takt ! Die Londoner Tube hat ein Schienennetz von 402 Kilometern – das ist in etwa vergleichbar mit dem Schienennetz von S- und U-Bahn in Berlin mit 411 Kilometern. Allerdings kommt die London Tube auf eine Fahrleistung von jährlich 83,6 Millionen Kilometern und transportiert dabei 1,35 Milliarden Passagiere, während in Berlin gerade mal 53,7 Millionen Kilometer mit rund 880 Millionen Passagieren gefahren werden (5), (6), (7). London hat also eine mehr als 50% höhere Auslastung – das heißt mehr Züge, geringerer Takt, mehr Fahrer und damit besserer Service für die Bewohner.
Und falls man noch die Anzahl der Busse vergleichen möchte: In London gibt es eine Flotte von rund 8.800 Bussen, in Berlin rund 1.600. Ein Unterschied von Faktor 5 – bei etwas mehr als doppelt so vielen Einwohnern (8), (9). Wir könnten jetzt auch noch Tram-Linien (ja, im Süden von London gibt es auch eine Tram !), Light-Rail, Overground, Fähren und Regionalzüge miteinander vergleichen – das Fazit bleibt das gleiche: London ist im Öffentlichen Nahverkehr weitaus besser ausgestattet. Und dort gibt es auch keine Stimmen, den Verkehr noch mehr zu subventionieren – die Betreiber brauchen die Einnahmen für Investitionen, zum Beispiel, um auf Elektrobusse und die dafür notwendig Lade-Infrastruktur umzusteigen oder das Netz zu erweitern. Ein Einzelticket der Zonen 1 und 2 kostet gegenwärtig bei Bezahlung mit Contactless Payment Card oder Oyster-Card 3,20 Pfund, also rund 3,60 EUR. Wer in den Außenbezirken von London wohnt, zahlt bis zu 5,15 Pfund.
Während Berlin bezüglich der Erweiterung des Schienennetzes Ankündigungsweltmeister ist, schafft man in London Fakten: Dort entsteht gerade die neue 118 Kilometer lange neue Crossrail, in Berlin haben wir in den letzten Jahren gerade mal die 2,2 Kilometer lange Kanzler-U-Bahn geschafft und heutzutage streiten die regierenden Parteien um wenige Kilometer Verlängerungen der U3 oder die Anbindung der U7 zum BER. Und das ist alles ohnehin erst im Planungsstadium, an eine Realisierung vor dem Jahr 2030 ist nicht zu denken.
Fazit: Um eine verkehrsberuhigte Innenstadt zu erreichen, muss es eine dramatische Verbesserung im Öffentlichen Nahverkehr geben ! Wie der Zahlenvergleich mit London zeigt, liegt die Latte da sehr hoch – und das ist für jeden offensichtlich, der Zahlen lesen kann und will.
Die individuelle Mobilität ist eine hohe Errungenschaft unserer Gesellschaft. Sie ist Basis für Wachstum, Wohlstand und Arbeit und ein entscheidendes Element unserer Lebensqualität. Eine Verkehrswende, die nur auf Verbote von Autos setzt und nicht auch gleichzeitig die Bedürfnisse aller Berliner Bewohner und Besucher nach mehr Mobilität adressiert, wird in der Sackgasse enden, die Immobilität heißt. Grüne Politiker und ihre Anhänger dürfen sich diese Immobilität nicht schönreden. Wenn die Leute alle zu Hause sitzenbleiben, rettet man damit nicht die Welt, sondern man zerstört sie.
De-Investition statt Mobilitäts-Offensive ?
Im Juni 2022 stellt die Senatsverwaltung in einem Presse-Statement ihren neuen Haushalt vor und feiert, dass „rund 70 Prozent des SenUMVK-Etats in den ÖPNV“ fließen und damit ein „ehrgeiziges Programm“ sukzessive weiterentwickelt werden kann (10). Was das Presse-Statement verschweigt ist, dass die Ausgaben im Verkehrs-Resort für 2023 real sinken werden. Statt 1,83 Milliarden Euro im Jahr 2022 stehen 2023 nur noch 1,66 Milliarden Euro zur Verfügung, wie jeder Bürger nachlesen kann, wenn er in die öffentlich zugänglichen hunderte Seiten langen Haushalts-Papiere hineinschaut (11). Das ist zwar mehr als in den Jahren 2020 und 2021 mit je 1,2 Milliarden Euro, wenn man allerdings die galoppierende Inflation hinzurechnet und sich den riesigen Nachholbedarf gegenüber Städten wie London ehrlich eingesteht, dann wird das ganze Desaster Grüner Verkehrspolitik so richtig deutlich.
Demgegenüber legt London gerade ein Investitionspaket von 8,1 Milliarden Pfund für die Verbesserung des Straßen- und Schienennetzes sowie den Ankauf neuer Züge auf (12). Das Budget 2022/2023 für das Londoner Verkehrsnetz beträgt 8,9 Milliarden Pfund, also ca. 10 Milliarden Euro (13). Eine bemerkenswerte Kennzahl für das Buslinien-Netz in London ist übrigens, dass 96,5% aller Londoner weniger als 400 Meter zu laufen haben, um zur nächsten Bushaltestelle zu kommen.
Mobilität braucht politischen Gestaltungswillen
Und noch etwas zeichnet London aus: Im Jahr 2001 wurde in London die zentrale Behörde „Transport for London“ (TfL) gegründet. Die TfL kontrolliert den gesamten Verkehr in der britischen Hauptstadt, ob U-Bahnen, Busse, Radwege, Taxis bis hin zum Straßenverkehr. Es wurde damit eine Struktur geschaffen, die eine weitsichtige Planung für alle Verkehrsteilnehmer überhaupt erst ermöglicht. Nur so kann Mobilität in der Großstadt ganzheitlich gestaltet werden.
Die Berliner Zeitung hat Bewohner von Pankow befragt, was die gegenwärtigen Einschränkungen im Nahverkehr für sie bedeuten (14) - die Antworten schwankten zwischen Hoffnungslosigkeit und blanker Wut. Eine Befragung der Berliner Autobesitzer zu den neuesten Plänen der grünen Senatsverwaltung wurde noch nicht veröffentlicht. Vielleicht scheuen sich Umfrageinstitute und Medien aber auch, die entsetzten Reaktionen der Betroffenen kundzutun. Man kann Frau Jarasch nur dankbar sein, dass sie vor der Wiederholungs-Wahl in Berlin unmissverständlich klar gemacht hat, wie die Zeitenwende mit den Grünen im Verkehrswesen aussieht – Immobilität statt mehr Mobilität !
Quellen:
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