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  • Ronald Keusch

Landpartie nach Gorzów

Mit den Brandenburger Symphonikern zum Sommerkonzert nach Polen





Die Philharmonie in Gorzow
Die Philharmonie in Gorzow


Die Brandenburgischen Sommerkonzerte sind seit ihrer Einführung im Jahr 1991 ein hoch geschätzter kultureller Höhepunkt. Denn sie wollen ihrem Publikum nicht nur ein einzigartiges Musikerlebnis verschaffen, sondern wie ihre Gründungsväter nach der Wende in Deutschland beabsichtigten, vor allem alle Berliner wie Brandenburger zu einer musikalischen Landpartie ermuntern. Erklärtes Ziel war und ist es, Menschen und Kultur zusammen zu bringen, Landschaften und außergewöhnliche Spielstätten im Land Brandenburg zu entdecken. Was liegt da näher als auch das östliche Nachbarland Polen mit einzubeziehen.


Willkommen in Gorzow Wielkopolski
Willkommen in Gorzow Wielkopolski

Zwei Wege nach Gorzów

In dieser Saison wurde am 6. August ein Konzert in Gorzów veranstaltet, dem ehemaligen Landsberg an der Warthe. Es ist von Berlin näher als die Ostsee, liegt nur 140 Kilometer von Berlin entfernt und ist über Landstraßen in zwei Stunden mit dem Auto erreichbar. Die traditionell vom Fehrbelliner Platz in Berlin Charlottenburg startenden Konzertbusse mussten allerdings die längere Strecke über die Autobahn nach Gorzów fahren. Den Politikern in Potsdam und in der Woiwodschaft Lebus ist es in vielen langen Jahren immer noch nicht gelungen, eine für Fahrzeuge über 7,5 Tonnen und damit auch für Busse tragfähige Straßenbrücke über die Oder in Küstrin fertigzustellen. Und leider ist auch die Zugverbindung wegen Gleisbauarbeiten an der Grenze bis auf weiteres unterbrochen. Insofern weist die auch als Europa-Konzert titulierte Musikveranstaltung, sicher ungewollt, auf den Missstand hin, dass wir verkehrstechnisch in jederlei Hinsicht noch weit von dem beschworenen einheitlichen Europa entfernt sind.



Blick auf Gorzow und die Warthe
 Blick auf Gorzow und die Warthe

Eine Stadt „mitten am Rande“

Ein guter Brauch bei den Brandenburger Sommerkonzerten besteht darin, den angereisten Besuchern den Ort des Konzertes bei einem Stadtbummel näher zu bringen. So auch in Gorzów. Als sehr informativer, unterhaltsamer und souveräner Stadtführer trat der einheimische Robert Piotrowski auf. Er führte etwa drei Dutzend deutsche Konzertbesucher durch das 750jährige polnische Gorzów an der Warta, was auch viele hundert Jahre deutsche Geschichte von Landsberg an der Warthe widerspiegelt. Die Stadt mit derzeit 125.000 Einwohnern muss auch mit dem Paradox leben, dass sie „zu nahe an der Länder-Grenze liegt, sozusagen mitten am Rande“, wenn man von den Landkarten vor 1945 ausgeht. Andererseits würde es der Berliner Arbeitsmarkt schon spüren, wenn die vielen Pendler aus Gorzów nicht mehr da wären, so der polnische Reiseführer. Zu den bemerkenswerten Entwicklungen rechnet Stadtführer Piotrowski, dass eine Reihe von protestantischen Kirchen, wie die um 1235 errichtete Marienkirche, unter polnischere Hoheit allesamt zu katholischen Kirchen wurden. Noch vor einigen Jahrzehnten war Gorzów eine „vergessene Stadt“, ehe sie sich auch durch zwei Hochschulen und eine bekannte Sportschule zu einer Großstadt im Lebuser Land entwickelt hat.


Marienkirche am Marktplatz Nelly-Bank in Gedenken an Christa Wolf

Eine Erinnerung an Christa Wolf

Weitere Stationen des Stadtrundganges sind der Marktplatz mit einer imposanten Brunnenfigur, die ein einheimischer Fabrikant 1897 stiftete und die es schaffte, alle historischen Brüche zu überleben. Dann ein Volksschwimmbad in expressionistischen Formen, 1930 gebaut, mit glasierten Kacheln, die aus der ehemaligen Künstlerkolonie in Gildenhall bei Neuruppin stammen. In der Innenstadt stößt der Besucher auch auf eine bescheiden wirkende Skulptur. Da sitzt auf einer Bank ein junges nachdenkliches Mädchen. Die „Nelly-Bank“ wurde 2015 im Gedenken an Christa Wolf eingeweiht, die in ihrem Roman „Kindheitsmuster“ ihre Jugendzeit in Landsberg an der Warthe beschreibt. Die Figur stellt die Hauptperson des Romans Nelly Jordan dar – einige Journalisten werden später behaupten, es sei die junge Christa Wolf selbst. Christa Wolf wurde im Jahr 1929 in Landsberg an der Warthe geboren, so wie auch der Literaturwissenschaftler und Romanist Victor Klemperer aus Landsberg stammt.


Brunnen auf dem Marktplatz Volksschwimmbad mit Kacheln aus Gildenhall

Und schließlich endet der Stadtrundgang am Spielort der Brandenburgischen Sommerkonzerte, der vor elf Jahren in der Stadt neu errichteten Philharmonie mit einem 600 Zuschauer fassenden Konzertsaal. Neben den angereisten deutschen Musikliebhabern hatten auch zahlreiche einheimische Besucher den Weg in die Philharmonie gefunden und erlebten ein beeindruckendes Konzert.



Mischung aus Klassikern und moderner Musik

Die Brandenburger Symphoniker boten unter ihrem Dirigenten Jakob Lehmann ein attraktives Programm, eine spannende Mischung aus Klassikern von Felix Mendelssohn und Edvard Grieg und modernen Musikstücken des 20. Jahrhunderts von Zoltan Kodály sowie Darius Milhaud.


Javier Comesana Foto: Brandenburger Sommerkonzerte
Javier Comesana

Außerdem hatten sie einen der besten und international gefeierten jungen Violinisten im Aufgebot, den spanischen Geigenstar Javier Comesana, gerade einmal 23 Jahre alt, aber schon mit vielen Preisen bedacht. Er brachte das Violinkonzert e-moll von Felix Mendelssohn Bartholdy zu Gehör, eines der populärsten Werke der Konzertliteratur und zugleich eines der dankbarsten für den Virtuosen, der mit Kadenzen, Arpeggios und ausdrucksvollen Legato-Bögen brillieren kann.



„Der Ochse auf dem Dach“

Den Abschluss des Konzertes bildete Darius Milhauds „Le Bœuf sur le toit“ – zu Deutsch „Der Ochse auf dem Dach“. Milhaud hat das Stück als Begleitmusik für Charlie Chaplins Stummfilme konzipiert und zitiert dabei verschiedene brasilianische Volkstanzmelodien. Und genauso klingt es auch, fröhlich, ein wenig tollpatschig, mit unerwarteten harmonischen Wendungen und einem mitreißenden Rhythmus. Seine Uraufführung fand das Stück allerdings 1920 als Ballett in einer Inszenierung von Jean Cocteau. Das Ballett gab dann der 1921 eröffneten berühmten Pariser Cabaret-Bar „Le Bœuf sur le toit“ ihren Namen, in der sich Cocteau, Milhaud und Kollegen regelmäßig trafen. Die Orchestermusiker hatten augenscheinlich ihren Spaß an dem Stück und das Publikum dankte mit langanhaltendem Applaus.


Chopin Picknick vor der Philharmonie
Chopin Picknick vor der Philharmonie

Nachspiel mit Open-Air-Konzert

Das Europa-Konzert hatte dann im wahrsten Sinne des Wortes noch ein Nachspiel, dem all diejenigen beiwohnen konnten, die die Landpartie zu einem Wochenendausflug mit Übernachtung ausdehnten. Am nächsten Tag veranstalteten die Stadtväter bei sommerlichem Wetter ein Open-Air-Konzert. Klappstühle und Liegestühle wurden vor dem großen Portal der Philharmonie platziert, die bald besetzt waren. Aber auf den angrenzenden Rasenflächen war noch viel Platz. Viele Besucher brachten Stühle, Decken und den Picknickkorb mit. Bei uns als Berliner stellt sich ein bisschen Waldbühnen-Feeling ein. Wir sehen im Programmheft, dass die Stadt Gorzów an jedem Sonntag im Sommer vor der Philharmonie eine „Chopin-Picknick“ veranstaltet, ja mehr noch: Über den Sommer verteilt finden in Gorzów insgesamt 111 Veranstaltungen statt, auf dem Marktplatz, den Wiesen an der Warta, dem Amphitheater, dem Stadttheater und eben an der Philharmonie.



Pawel Wakarecy spielt Chopin 111 kulturelle Sommerveranstaltungen in Gorzow


An diesem Sonntag spielte der polnische Pianist Pawel Wakarecy bekannte und weniger bekannte Werke von Chopin: Polonaisen, Preludes, Mazurken, Nocturnes und Walzer, darunter auch einige ausgesprochene Ohrwürmer. Die Akustik war hervorragend und die Zuschauer forderten einige Zugaben ein. Nicht wenige spazierten danach hinunter zum Ufer der Warthe, um dort zu flanieren, den Sonnenuntergang zu genießen, oder einfach in einem der zahlreichen Lokale gut und preiswert zu speisen.


Sonnenuntergang an der Warthe
Sonnenuntergang an der Warthe

Übrigens hat auch das Brandenburger Konzert im polnischen Gorzów noch eine Fortsetzung. Vom 16. bis 18. September wird ein Kulturzug von Berlin über Cottbus nach Legnica (Liegnitz) und Wroclaw (Breslau) fahren, mit zwei Übernachtungen, Besichtigungen, mehreren Konzerten und noch mehr Zeit für Entdeckungen und Begegnungen. Mehr Informationen sind dazu im Programmheft der Brandenburgischen Sommerkonzerte sowie auf der Website des Veranstalters, des Görlitzer Reiseunternehmens SenfkornReisen, zu finden.


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