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Ronald Keusch

So ist das Leben – aber wirklich

Premiere des Tschechow-Stückes „Onkel Wanja“ im Schlosspark Theater





"Onkel Wanja" mit Boris Aljinovic in der Titelrolle und Dagmar Bernhard als Jelena
Onkel Wanja mit Boris Aljinovic in der Titelrolle und Dagmar Bernhard als Jelena
© DERDEHMEL/Urbschat



Ein weiteres Mal ein Paukenschlag unüberhörbar für die Berliner Theaterszene aus dem Schlosspark Theater in Berlin Steglitz. Am 2. September wurde eine glanzvolle Premiere mit dem Meisterwerk von Anton Tschechow „Onkel Wanja“ gefeiert. Das Premierenpublikum spendete begeistert Beifall. Für diese erfolgreiche und geglückte Inszenierung des Stücks „Onkel Wanja“ mit dem Untertitel „Ein Leben in vier Augenblicken“ gibt es eine ganze Reihe von Gründen.


Szenenbild mit Mario Ramos, Mark Weigel, Tilmar Kuhn, Dagmar Biener, Boris Aljinovic, Dagmar Bernhard und Helen Barke (v.l.)
Szenenbild mit Mario Ramos, Mark Weigel, Tilmar Kuhn, Dagmar Biener, Boris Aljinovic, Dagmar Bernhard und Helen Barke (v.l.)
© DERDEHMEL/Urbschat

Da ist zunächst das Stück selbst vom Altmeister Anton Tschechow. Es gehört zweifellos nicht allein zu den erfolgreichsten Stücken Tschechows, sondern ist auch eines der meistgespielten Stücke in der neueren europäischen Theatergeschichte. Es werden Menschen geschildert, die in ihrer Existenz gescheitert sind. Sie sind gefangen in ihrem Umfeld, aus dem sie nicht fliehen können. Sie haben keine Kraft und auch nicht den Mut, etwas zu verändern. So flüchten sie in Langeweile und Nichtstun. Tschechow malt ein zeitloses Porträt der Gesellschaft, das ein internationales Publikum damals wie heute anspricht.


Tilmar Kuhn als Professor Serebrjakow und Dagmar Bernhard als
seine junge Frau Jelena © DERDEHMEL/Urbschat

Die Handlung des Stückes ist rasch erzählt. Onkel Wanja verwaltet dienstbeflissen das Landgut seiner verstorbenen Schwester. Der Witwer ist der pensionierte Professor Serebrjakow, der aufs Landgut kommt und jeden mit seinen eingebildeten Krankheiten und seiner Lethargie nervt. Onkel Wanja hat ihn einst verehrt und sich auf dem Gut für ihn abgerackert, um sein Leben in der Stadt zu finanzieren. Doch jetzt hat er ihn durchschaut als einen Scharlatan, der sich mit großer Kunst beschäftigt und nichts davon versteht. In Begleitung des Professors ist seine neue junge und schöne Ehefrau Jelena, die sich langweilt und allen Männern den Kopf verdreht.


Mark Weigel als Arzt Astrow und Helen Barke als Wanjas Nichte Sonja Mark Weigel und Boris Aljinovic
© DERDEHMEL/Urbschat

Der Landarzt Astrow wirbt um die junge Gattin des Professors, doch die Liebelei endet, bevor sie anfangen kann. Als der Professor mit ständiger Geldnot äußert, das Gut verkaufen zu wollen, ist Onkel Wanja empört, denn sein Lebenswerk und die einzige Rechtfertigung seines freudlosen Daseins ist in Gefahr. Er versucht den Professor zu erschießen. Dieser reist daraufhin mit seiner jungen Ehefrau überstürzt ab und letztlich bleibt alles beim Alten. Es fehlt allen Beteiligten Mut, Kraft und Entschlossenheit, an ihrer Situation etwas zu ändern. So ist halt das Leben – das ist die etwas trostlose Botschaft von Tschechow, die aber mit Mitgefühl, Verständnis und Humor erzählt wird.


Regisseur Anatol Preissler © ESDES.Pictures / Bernd Elmenthaler

Ein gewichtiger Grund für diesen Theatererfolg ist bei dem Regisseur Anatol Preissler zu finden. Er ist ein viel gefragter Theatermann mit über 100 Inszenierungen an Kellertheatern genauso wie an Stadt- und Staatstheatern. Für dieses Tschechow-Stück gibt es wohl kaum eine bessere Wahl als ihn. Denn es ist sein Lebenstraum, „Onkel Wanja“ zu inszenieren. Mit so viel Herzblut ist es dann auch möglich, Tschechow zu aktualisieren und in die heutige Zeit zu bringen (siehe dazu auch das folgende Interview). In Preisslers neuer Übersetzung versteht der Zuschauer besser, warum Tschechow das Stück als Komödie titulierte. Hinzu kommt, dass er bereits vor knapp zwei Jahren bei seiner Inszenierung des „Onkel Wanja“ am Ernst Deutsch Theater in Hamburg mit der neuen Textfassung Erfahrungen sammelte.

In Berlin arbeitete er dann noch einmal mehrere Wochen mit den Schauspielern an den Dialogen des Textes. Und er setzte als Regisseur seine Akzente. Das beginnt beim Dauer-Szenenbild, das den russischen Gutshof mit geschickt designten Türen und Wänden in den Farben Rot und Blau entwirft und mit vielen liebevollen Details aufwartet. Wann entwirft ein Regisseur schon mal ein Bühnenbild?


Dagmar Biener als Kinderfrau Marina strickt am roten Teppich
© DERDEHMEL/Urbschat

Viele originelle Regie-Details bleiben in Erinnerung wie z.B. ein breiter roter Wollschal, der im Verlauf des Stückes immer länger wird und sich schließlich aus dem Strickzeug der alten Amme über die ganze Bühne wie ein roter Teppich erstreckt. Da spricht eine Figur im Stück, die Matriarchin und Mutter von Wanja, unsichtbar nur über einen Lautsprecher und da klingelt für den Landarzt Astrow mehrmals das Telefon in seiner Arzttasche und er telefoniert mit einem kabellosen Telefonhörer.

Doch die entscheidende Regieleistung sind die mit den Schauspielern erarbeiteten Texte und der Einsatz und das Tempo der Dialoge. Ausgesprochen wirkungsvoll sind die eingesetzten Musikstücke, russische und ukrainische Volkslieder, der Song „Karl der Käfer“ – einer der ersten Umweltsongs und Hit der 80er Jahre – mit dem Astrow seine Kritik am menschlichen Raubbau des Waldes zum Ausdruck bringt, und die Live-Gitarrensolos des verarmten Gutsbesitzers Telegin.


Mario Ramos als Gitarre spielender Gutsbesitzer Telegin Boris Aljinovic und Helen Barke in der Schlussszene
© DERDEHMEL/Urbschat

Tief beeindruckend ist die Schlussszene dieses alltäglichen Dramas, in der alle Schauspieler versammelt sind: Alles geht so weiter wie vorher, Onkel Wanja rechnet traurig an einer Rechenmaschine, seine Nichte Sonja versucht, ihm damit Trost zu spenden, dass sie nach dem Tod noch genug Muße zum Ausruhen hätten, der mit Ehefrau abgereiste Professor steht allein vor einer Mauer seiner Karriere, und ein melancholischer englischer Song „we don’t belong here“ bringt uns näher: So ist das menschliche Leben, damals wie heute.


Das Ensemble nach der Premiere © Ronald Keusch


Boris Aljinovic auf der Pressekonferenz des Schlosspark Theaters
© ESDES.Pictures / Bernd Elmenthaler

Nicht zu vergessen die Binsenweisheit: Ein Theatererfolg wird maßgeblich durch die Schauspieler auf der Bühne getragen. Hier fand sich ein außergewöhnlich gut harmonierendes Ensemble zusammen, mit Boris Aljinovic, Tilmar Kuhn, Helen Barke, Dagmar Bernhard, Dagmar Biener, Mario Ramos und Mark Weigel.

Eine besondere Rolle hatte Boris Aljinovic in der Rolle des Onkel Wanja zu absolvieren. Ihm gelang es, den Zwiespalt und die Tristesse des Gutsverwalters zu verkörpern, der sich vom Leben so betrogen fühlt, aber nicht aus seinem Schicksal auszubrechen vermag.


Hausherr Dieter Hallervorden mit Ehefrau Christiane Zander
bei der Premierenfeier © Ronald Keusch

Auf der Premierenfeier ließ sich beim Fotoshooting des Schauspiel-Ensembles Intendant Dieter Hallervorden zu dem Ausspruch hinreißen: „Der Barlog kann von seiner Wolke zufrieden auf sein früheres Theater herunterblicken.“ Die Theaterlegende Boleslaw Barlog leitete nach dem Krieg für 27 Jahre das Haus und inszenierte mehr als 100 Theaterstücke. Und Hallervorden hat durchaus Recht mit seiner etwas verschmitzten Bemerkung. Als er im Jahr 2008 das Schlosspark Theater erwarb, lästerte die Berliner Szene, dass die Verbindung von Hallervorden mit dem Schlosspark Theater nur ein Jahr dauern wird.

Ein kurzer Blick auf seine neue Theatersaison und seine insgesamt fünfzehnte Spielzeit belehrt alle eines Besseren. Hier wird Begeisterung für das wirklich einzigartige „Erlebnis Theater“ geweckt und aufrechterhalten.


Im Mittelpunkt der neuen Spielzeit stehen neben „Onkel Wanja“ noch drei weitere Eigenproduktionen. „Die Maria und der Mohamed“ ist eine ans Herz gehende Gesellschaftskomödie über Flucht, Trauma und Menschenwürde. Im Januar 2024 kommt die Komödie „Knapp daneben ist auch vorbei“ über die Diva der falschen Töne. Ein Erfolgsstück aus dem Londoner Westend, bei der auf der Pressekonferenz die Hauptdarstellerin Antje Rietz einen Nachweis ihrer Gesangskunst in der Rolle der „Königin der Nacht“ brachte. Sie – ausgebildete Sängerin, Musikerin und Schauspielerin – hat für diese Rolle noch einmal extra Gesangsunterricht genommen, denn auch falsche Töne müssen gekonnt gesungen werden, damit es nicht peinlich wirkt. Schließlich wird im März 2024 die Krimikomödie „Achtsam Morden“ nach dem Erfolgsroman von Karsten Dusse aufgeführt. Alle Fans dürfen sich auf Dieter Hallervorden in neun Rollen freuen.



Antje Rietz und Nils Strassburg mit kurzen Ausschnitten aus ihren Programmen bei der Pressekonferenz des Schlosspark Theaters
© ESDES.Pictures / Bernd Elmenthaler

Aus der Fülle von Gastspielen sollen nur zwei genannt werden. „Elvis - A Tribute to the King of Rock ’n Roll“, eine spannende Geschichte mit Live-Musik, Gesang und Hüftschwung über Glamour und Tragik des Weltstars, gastiert im Mai 2024 mit dem Karlsruher Sänger Nils Strassburg. Und es wird wieder die Veranstaltungsreihe „Kunst der UnFuge“ mit dem Deutschen Symphonie-Orchester neu aufgelegt, in der fünf Stars der Kleinkunstszene mit den Musikern ein Kabarett Konzert aufführen.


Intendant Dieter Hallervorden mit den Protagonisten der neuen Spielzeit © ESDES.Pictures / Bernd Elmenthaler

Alles ist im Detail in dem umfangreichen Programm der Theatersaison 2023/24 im Internet zu finden:


 

„Onkel Wanja“ von Anton Pawlowitsch Tschechow wird im Schlosspark Theater noch bis zum 15. Oktober 2023 jeweils von Dienstag bis Sonntag en suite gespielt

Beginn: Dienstag 20 Uhr, Mittwoch 18.30 Uhr, Donnerstag bis Samstag 20 Uhr und Sonntag 16 Uhr



 


„Onkel Wanja“ ist mein Lebenstraum


Gespräch mit dem österreichischen Regisseur Anatol Preissler


© ESDES.Pictures / Bernd Elmenthaler

Herr Preissler, Sie haben als Regisseur und auch in der Bearbeitung von Tschechows „Onkel Wanja“ das Stück gekürzt und heutiger Zeit angepasst. Was war für Sie nötig, um den heutigen Zuschauer das Anliegen des berühmten Dramatikers zu vermitteln?

Anatol Preissler Da kommen bei mir zwei Dinge zusammen. Tschechow und „Onkel Wanja“ ist für mich tatsächlich ein Lebenstraum. Schon im Alter von 19 Jahren wollte ich an diesem Stück einmal selbst arbeiten dürfen und es als Regisseur auf die Bühne bringen.


Das hängt sicher mit Ihrem Elternhaus zusammen?

Preissler Ganz klar mit meinem Elternhaus, mein Vater war Regisseur und meine Mutter Schauspielerin. Als Schüler habe ich in München erstmals das Stück „Onkel Wanja“ gesehen. Es hat mich sehr angesprochen. Dieser Tschechow ist mir sehr nahe.


Im Programmheft ist bei der neuen deutschen Textfassung Ekaterina Bezghina genannt ...

Preissler Das ist der andere Glücksfall, meine Frau Ekaterina. Sie ist Ukrainerin und natürlich der russischen Sprache mächtig. Sie hat mir bei den vorbereitenden Arbeiten am Tschechow-Text über die Schulter geguckt und meinte: Was ihr an angängigen Tschechow-Übersetzungen habt, das ist überhaupt nicht so lustig, wie wir es in Russland kennen. Deshalb haben wir uns noch einmal Satz für Satz an die Übersetzung gemacht und alles überprüft. Dabei ist ein viel umgangssprachlicherer und frecher Ton herausgekommen. Meine Frau hat mich inspiriert und dafür gesorgt, dass der Zuschauer erfährt: Tschechow zeigt in dem Stück viel Humor. Die früheren Übersetzungen sind alle recht pathetisch und zu respektvoll. Da haben wir uns herangewagt und mit einem Traum-Ensemble „Onkel Wanja“ auf die Bühne gebracht. Es ist klar ein Ensemble-Stück mit einem großartigen Boris Aljinovic in der Rolle von Onkel Wanja.


Sie haben dieses Tschechow-Stück von vier auf zwei Stunden Spielzeit reduziert. Das scheint für einen Außenstehenden schwierig nachzuvollziehen. Und Sie sind überzeugt, dass Tschechow Beifall spenden würde. Ich frage das angesichts der hoch subventionierten alternativen Theater in Berlin, die so viele Veränderungen vornehmen, dass der Autor mitunter nur schwer sein Stück wieder erkennen kann.

Preissler Sie sprechen einen neuralgischen Punkt an. Ich arbeite wahnsinnig gern an Dialogen, das heißt, ich sitze mit meinem Ensemble mehrere Wochen am Tisch und wir beschäftigen uns mit dem Wort. Tatsächlich haben wir in Berlin nur zwei Stunden reine Spielzeit, aber da drin ist der komplette Tschechow ungekürzt – da fehlt kein einziger Satz. Tschechow selbst hat das Stück „Onkel Wanja“ als Komödie tituliert. Wenn man aber die Sätze ausdehnt und jedes einzelne Wort zelebriert, dann ist das reine Selbstbeweihräucherung, sowohl der Darsteller wie ihrer Regisseure. In meiner Aufführung geht nichts verloren, das verspreche ich dem Publikum. Hier steckt eine vierwöchige reine Dialog-Arbeit über Gedanken und über Gefühle dahinter. Der Humor entsteht teilweise dadurch, dass Tschechow seine Figuren einen Satz in zehn Varianten sagen lässt. Sie sagen immer dasselbe in verschiedenen Formulierungen, aber eigentlich ist es nur eine grundlegende Aussage. Schon darin, eingebettet in das Tempo der Szenen, steckt viel Komödiantisches.


Wurde Ihre Tschechow-Fassung von „Onkel Wanja“ schon woanders gespielt?

Preissler Es gab eine erste Aufführung von dem Tschechow-Stück vor knapp zwei Jahren in Hamburg. Hier im Schlosspark Theater in Berlin sind einige der Schauspieler wieder mit dabei und wir haben die Tschechow-Texte in Berlin noch einmal neu erarbeitet.


Es gibt in Deutschland in jüngster Zeit eine Reihe von Fällen, wo russische Komponisten und Autoren nicht mehr aufgeführt werden. Auf dem Gendarmenmarkt wurde im vorigen Jahr komplett ein russischer Musikabend in aller Stille abgesagt. Eine bestimmte Form von Russophobie hat in das Kulturleben Einzug gehalten. Wie ist Ihre Meinung?

Preissler Ich bin bei diesem Thema sehr nahe dran durch meine Frau Ekatarina, die noch in der Sowjetunion geboren wurde und erst später einen ukrainischen Pass bekommen hat. Ich sehe in diesem Konflikt beide Seiten in guter Distanz. Wir haben verschiedene Reaktionen auf unser Stück gehabt, Verunsicherungen der Leute, die viele Fragen stellen. Ich bin auch schon gefragt worden, wie kann man russische Lieder in der heutigen Zeit in so ein Stück einbauen? Im Stück gibt es unter anderem ein russisches und ein ukrainisches Volkslied. Natürlich sagen wir der politischen Situation geschuldet Charkiv anstatt im originalen Tschechow-Stück Charkow. Aber dieser Tschechow ist kein politisches Stück. Es ist ein Stück über Menschen und ihre Unfähigkeit zu Beziehungen – und das ist global. Was Russland und die Ukraine betrifft, wir hatten in der Voraufführung zwei Russinnen im Publikum, die hellauf begeistert waren. Sie sagten, sie haben Tschechow in Deutschland noch nie so feinsinnig und subtil gesehen, sondern meist laut und mit Geschrei und viel Wodka und Bär auf der Bühne. Der Einsatz von Musik im Stück ist für mich ein Ausdruck des Gefühls und Tschechow ist ein Meister, der zurecht immer wieder gespielt wird und einer der Klassiker überhaupt. Die Bestrebungen, russische Kultur auszugrenzen, das ist mir ein Rätsel. Der nächste Schritt wäre dann, Bücher zu verbrennen. Das darf nicht geschehen. Den Angriffskrieg gilt es bis ins letzte zu verurteilen, das ist klar. Aber das hat mit Tschechow nichts zu tun.


(Zur Pressekonferenz anlässlich der neuen Theatersaison im Schlosspark Theater sprach Ronald Keusch mit Regisseur Anatol Preissler)



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