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Ronald Keusch

Wär ich nicht arm, wärst Du nicht reich

Über das Buch „Wem gehört Deutschland?“ von Jens Berger





Jens Berger, Wem gehört Deutschland?

Oft sind es die einfachen kurzen Fragen, die dazu animieren, komplexe Sachverhalte auf den Punkt zu bringen und verständlich zu vermitteln. Wem gehört Deutschland? Und wenn dann die Antwort gegeben und mit Zahlen und Fakten belegt wird, dann hat der Autor etwas Wichtiges erreicht: Aufklären im besten Sinne des Wortes und eine höchst überfällige Debatte anzustoßen, wie das Vermögen in der Gesellschaft verteilt werden muss, damit der gesellschaftliche Frieden im 21. Jahrhundert gewahrt bleibt.

Dem Journalisten Jens Berger ist ein solches Vorhaben mit seinem Buch „Wem gehört Deutschland?“ aus dem Westend Verlag gelungen. Einen Namen hat sich der politische Blogger der ersten Stunde als langjähriger Chefredakteur und Autor scharfzüngiger analysierender Texte auf den Nachdenkseiten gemacht. Bekanntlich nehmen die Nachdenkseiten, gegründet von dem Urgestein aus SPD-Regierungszeiten in Bonn Albrecht Müller, einen anerkannten Platz in der Reihe unabhängiger kritischer sozialer Medien in Deutschland ein.

Das Buch von Jens Berger ist eine vollkommen überarbeitete Neuauflage seines Spiegel-Bestsellers, der bereits vor zehn Jahren erschien. Kann sich denn in nur wenigen Jahren zum Thema Reichtum und Vermögensverteilung so viel verändert haben? Die Antwort des Autors ist ein klares „Ja“ und zwei Gründe dafür stehen sogar auf dem Titel und Rücktitel. Zum einen sind das „Die Kriegs- & Krisengewinnler“, wobei letztere vor allem mit der angeblichen Krise der Corona-Pandemie unermessliche Profite kassierten, zum anderen ist das die Propaganda-Schimäre „Das unendliche Märchen vom Volkseigentum“, die unermüdlich weitergeschrieben wird. Der Unterschied von zehn Jahren wurde auch grafisch eindrucksvoll auf dem Buchdeckel in Szene gesetzt: 2014 prangte da noch ein volles Staatssäckel, heute liegt da nur noch ein geplünderter leerer Sack.


Buchtitel 2014 versus 2024

Trotz der einfachen Frage des Titels sollte niemand von diesem Buch „leichte Kost“ erwarten. Der Autor Berger befasst sich mit wirtschafts- und finanzpolitischen Sachbüchern und setzte sich über lange Zeit wie ein Detektiv mit Statistiken, Studien und Unmassen von Fakten zu diesem Thema auseinander, die im Anhang auf neun kleingedruckten Seiten als Quellenangaben zu finden sind.

Also wem gehört Deutschland? Auf ein Phänomen bei diesem Thema macht Autor Jens Berger schon am Anfang des Buches aufmerksam. Wir wissen fast alles über die Armut. Es fehlt nicht an Statistiken und Zahlen, die aus unterschiedlichen Blickwinkeln vor der großen Öffentlichkeit ausgebreitet werden. So vermeldet der Paritätische Wohlfahrtsverband in seinem Armutsbericht 2022, dass „die Armutsquote mit 16,9 Prozent einen neuen traurigen Rekord erreicht hatte. Innerhalb der zwei Coronajahre ist die Armutsquote um einen ganzen Prozentpunkt gestiegen. 2021 mussten demnach 14,1 Millionen Menschen in Deutschland zu den Armen gerechnet werden“ (S. 12). Und diese Zahlen stammen noch aus einer Zeit vor dem großen Preisschock durch explodierende Energiekosten. In Deutschland liegt die Durchschnittsrente von Frauen mit 1316 Euro sogar unter dem EU-Schwellenwert für die Armutsgefährdung – und da reden wir hier nur vom Durchschnitt und nicht von den Millionen Rentnern am unteren Ende der Rentenskala.

Währenddessen bleibt die reale Vermögenslage der Reichen zumindest im Ungewissen. Bei den Studien über den Reichtum in der Gesellschaft klafft ein akademisches Loch. Auch der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung (so etwas existiert tatsächlich!) gibt „nur sehr eingeschränkte Informationen über die wirklich Reichen preis.“ Der Grund ist banal: Deutschland erhebt schlichtweg keine verlässlichen Daten zum Reichtum.

In unserer Regenbogen-Presse erfährt man zwar jede Menge über die Showbusiness Sterne und Sternchen oder über die Edelkicker, wo und in welchen Luxusquartieren sie wohnen, wer sich mit welchen Abfindungen eine Scheidung von seinem Partner oder seinem Fußballclub vergolden lässt oder mit welchen Edelkarossen und Privatflugzeugen sie sich bewegen. Aber ihnen gehört nicht Deutschland, sondern nur die mediale Aufmerksamkeit. Und so lautet der erste Paukenschlag im Buch: „Es ist eine Schande, dass der Staat offenbar nicht das geringste Interesse daran hat, Licht ins Dunkel der Vermögensverteilung zu bringen. … Wie will der Gesetzgeber sich dem Problem der Verteilungsgerechtigkeit stellen, wenn er ausgerechnet hierzu über keine Zahlen verfügt“, so die berechtigte Frage (S. 28). Die Daten sind unerwünscht, weil eine Debatte darüber unerwünscht ist.

Und so widmet sich Berger gleich im zweiten Kapitel einer Weltführerschaft, die viele überraschen mag: „Deutschland: Weltspitze in Sachen Ungleichheit“. Oder wer weiß das schon: „Deutschland ist das EU-Land, in dem die Kluft zwischen Arm und Reich mit am größten ist. Nur in Irland und – für viele sicher überraschend - Schweden sind die Vermögen noch ungleicher verteilt“ (S. 37). Und der Autor erlaubt sich den Schlenker, dass eine solche Ungleichverteilung des Vermögens geschichtlich keinesfalls neu sei. Im Hochmittelalter gehörte alles Land außerhalb der wenigen freien Städte der Kirche oder dem Fürsten, der es an seine Vasallen als Lehen, als Leihgabe, verpachtete (S.38).

Diese Situation, dass einem alles und hunderttausenden buchstäblich nichts gehört, haben wir heute wieder: Den 226 Milliardären Deutschlands – das sind 0,00027 Prozent der Bevölkerung – gehört 16,6% des Vermögens Deutschlands. „Millionäre und Milliardäre besitzen mit 44,9% beinahe die Hälfte des Volksvermögens“ (S. 42), den untersten 50% der Bevölkerung gehört gerade einmal 1,1% des Vermögens, wobei 27,6% gar nichts besitzen. Dabei haben die untersten 7,4% sogar höhere Schulden als Vermögenswerte (S. 45). Mehr ungerecht geht kaum.

 

Die Kritik an der bestehenden Ungleichheit wird in den System-Medien gern als Neiddebatte abqualifiziert. Doch die Spreizung der Vermögensschere ist ohne eine Umverteilung von unten nach oben undenkbar, so Jens Berger. Das ist keine neue Erkenntnis - Berger verweist auf das Gedicht von Bertolt Brecht „Alfabet“ aus dem Jahr 1934:

 

Reicher Mann und armer Mann

Standen da und sahn sich an.

Und der Arme sagte bleich:

„Wär ich nicht arm, wärst Du nicht reich.“

 

Zwar räumt der Autor gleich ein, dass so einfach wie bei Brecht der Zusammenhang zwischen arm und reich nicht erklärbar sei. Dennoch hat Brecht in seinem konstatierten Kausalzusammenhang recht: Es gibt eine Umverteilung von unten nach oben, der Reichtum der einen bedingt die Armut der anderen. Das Vermögen ist seit Mitte der 90er Jahre um fast 4,7 Prozent gestiegen, während das Bruttoinlandsprodukt im Schnitt nur um zwei Prozent und die Reallöhne fast gar nicht gewachsen sind (S. 48).

Berger erläutert das Prinzip der Umverteilung am Beispiel der Privatisierung der Krankenhäuser. Um privatisierte Krankenhäuser auf Renditemaximierung zu trimmen, werden die Kosten gedrückt. Und was aus Unternehmersicht Kosten sind, sind aus Arbeitnehmersicht Einkommen. Was auf der einen Seite ein realer Einkommensverlust einer „privatisierten“ Krankenschwester ist, fließt auf der anderen Seite als Rendite in die Taschen der Klinikbesitzer, die in der Regel zum obersten Promille der Vermögensskala gehören. Oder um mit Brecht zu schlussfolgern: „Wär der Klinikbesitzer nicht reich, wär die Krankenschwester nicht arm“ (S. 51).

Die Umverteilungspolitik wurde unter den Kohl-Regierungen begonnen und ist unter dem Namen Neoliberalismus bekannt. Der rot-grünen Schröder-Regierung war es dann vorbehalten, sie zu forcieren – und so öffnete sich die Vermögensschere rasant. Die Vermögenssteuer wurde 1997 ausgesetzt, die Gewerbeertragssteuer abgeschafft, der Spitzensteuersatz gesenkt, Freibeträge bei der Erbschaftsteuer angehoben, die Privatisierung öffentlichen Vermögens nahm zu, Finanzmärkte wurden dereguliert. Aber es ist keine Debatte über Vermögensabgaben in Sicht und die Folgen aktueller Gesetzesvorhaben wie des Heizungsgesetzes, der EU-Gebäuderichtlinie oder der Ausweitung des CO2-Emissionshandels schweben wie ein Damoklesschwert über uns. „Die Schere schließt sich nicht, sondern öffnet sich weiter, Jahr für Jahr. Und was am schlimmsten ist: Wir haben uns offenbar damit abgefunden. … Das ist fatal“ (S. 54).

Der Autor stößt in seinen intensiven Recherchen zu dem Thema Reichtum im Kapitel „Im Geldspeicher von Dagobert Duck“ auch immer wieder auf Amüsantes in den Medien. So ist im Focus am 2. Januar 2022 zu lesen. „Deutsche sind so reich wie nie zuvor.“ Und der Tagesspiegel verkündet am 28. November 2023 unter der Überschrift „So reich sind die Deutschen“, dass Deutschlands Haushalte „über ein durchschnittliches Nettovermögen von 316.500 Euro“ verfügen. Und wenn sich jetzt viele Leser verwundert am Kopf kratzen, hat der Autor die Erklärung parat. Denn mit dem Durchschnitt ist es so eine Sache. „Wenn ein Habenichts und ein Milliardär zusammensitzen, verfügen sie im Schnitt über 500 Millionen Euro - doch das macht den Habenichts nicht zu einem Reichen“ (S. 57). Zumindest kann jemand, der 100.000 hart Erspartes auf die hohe Kante gelegt hat, daraus entnehmen, dass er noch lange nicht zum Durchschnitt gehört.

Einige Stellen des Buches sind Hintergrund-Informationen für alle diejenigen, die im Osten Deutschlands aufgewachsen sind. Beispielsweise die Beruhigung, dass auch heute 34 Jahre nach der Wiedervereinigung es immer noch keine ostdeutschen Milliardäre gibt und dass in der regionalen Vermögensverteilung ein Haushalt im Bayern viermal so reich ist wie im Osten. Bei dieser Gelegenheit erhält der Leser auch einen Schnellkurs im Umgang mit den großen Zahlen und den vielen Nullen dahinter. So verfügen die deutschen Millionäre über ein Vermögen von 3,2 Billionen. Und der Autor gibt ironisch zu: „Mit solchen Zahlen konnten bis vor kurzen nur Astrophysiker oder Buchhalter in Zimbabwe etwas anfangen.“ Und wie ist die Summe von 3,2 Billionen Euro zu erfassen? Berger gibt Nachhilfe: „3,2 Billionen Euro, da muss eine alte Frau lange für stricken, wenn sie den Mindestlohn bekommt, 124 Millionen Jahre lang“ (S. 65).

Aber der Autor zieht auch sehr des Nachdenkens würdige Vergleiche. „Das Geldvermögen der deutschen Millionäre und Milliardäre ist doppelt so hoch wie die Gesamtverschuldung des Bundes und rund 50 Prozent höher als die Gesamtverschuldung aller öffentlichen Haushalte.“ Wenn man nur den jährlichen Vermögenszuwachs der Millionäre abschöpfen und dem Bundeshaushalt zur Verfügung stellen würde, wäre der Bund nach sieben Jahren schuldenfrei. Und er schlussfolgert ironisch: „Seltsam, dass niemand auf die Idee kommt, diesen Zusammenhang einmal konsequent zu Ende zu denken“ (S. 65).

Der Autor belegt in den folgenden Kapiteln anschaulich, welche vielfältigen Aspekte in dem großen Thema Vermögen drinstecken. Da sind die Millionen kleinen Kapitalisten und ihre Altersvorsorge (S. 66), das Thema des „kränkelnden Platzhirsches“ Lebensversicherung (S. 68), der Anlagen-Shooting-Star ETF (S. 72) oder Vergleiche des Rentensystems in Österreich und Deutschland (S. 75). Das österreichische System gewährleistet eine Rente, „die etwa 80 Prozent des letzten Bruttolohns ausmacht. Für Deutschland nennt die OECD-Studie eine Bruttoersatzrate von 42 Prozent, also nur etwas mehr als die Hälfte.“ Und da liegt die Vermutung sehr nahe, dass bei diesen Zahlen „so manchen deutschen Rentnern die Kinnladen herunterklappen“ (S. 76).

Die Bandbreite der folgenden Kapitel ist beeindruckend. Wenn es um die Deutschen und ihr Aktienvermögen geht, wird die Frage gestellt und beantwortet: Wem gehören solche Finanzkonzerne wie BlackRock und Co.? (S. 149ff). Allerdings sucht der Leser vergebens, wenn er etwas über die große Karriere des ehemaligen obersten Verwalters von BlackRock in Deutschland, dem heutigen CDU Vorsitzenden Friedrich Merz, erfahren will.

Im Kapitel „Uns gehört Deutschland: Die Vermögenden der Republik“ sind viele vereinigt, die Dividendenkönige, Rüstungsmagnaten, Wurstkönige und Hühnerbarone und selbstverständlich auch die Impfmilliardäre. Die beiden BioNTech-Gründer Ugur Sahin und Özlem Türeci sind mit ihrem Vermögen von 4,9 Milliarden Euro (!) in den Kreis der reichsten Deutschen aufgestiegen. Jens Berger geht bei diesem finanziellen Erfolg auch darauf ein, dass extrem hohe staatliche Forschungsgelder flossen und extrem hohe Preise für die Impfstoffe bezahlt wurden – jeweils vom Steuerzahler. Die Gewinner dieses sagenhaften Geschäftes zulasten der Allgemeinheit sind die Besitzer von BioNTech (S. 185 ff.). Angesichts der anwachsenden Enthüllungen über die Nebenwirkungen ihrer Impfstoffe in Deutschland sind die Milliardäre 2023 nach Großbritannien umgezogen – sicher ist sicher. Doch zu den Gewinnern der Krise gehörten nicht nur die kleine BioNTech-Firma aus Mainz und große Pharmagiganten. Gewinner waren deutsche Konzerne. „In Summe erzielten die 30 DAX-Konzerne einen Vorsteuergewinn in Höhe von 30 Milliarden Euro.“ Und ein bitteres Resümee des Kapitels „Corona: Der große Ungleichmacher“ lautet: „Während in der Belle Etage also trotz Corona die Champagnerkorken knallen, reichte es im Erdgeschoss nicht einmal für ein stilles Wasser“ (S. 197).

Die Schluss-Abschnitte des Buches wollen keine konkrete Antwort darauf finden, welches Vermögen und welchen Vermögenden Deutschland gehört, es steht bereits auf vielen Seiten des Buches. Vielmehr wird die auseinanderklaffende Vermögensschere im Land aufgezeigt, die Geburt und das Ende der sozialen Marktwirtschaft. Und der Autor erhebt die Forderung: Schluss mit der Ungerechtigkeit und als ein zentraler Kern, endlich das Steuersystem reformieren. Ohne dass die Spreizung der Vermögensschere, die Vermögensfrage ins Zentrum der politischen Debatten rückt, kann sich nichts verändern. Die Verteilungsfrage ist für den Autor der Elefant im Raum. „Sie ist übergroß und jeder sieht sie, doch niemand wagt es, dieses übergroße Problem anzusprechen oder gar anzugehen“ (S. 259). Jens Berger liefert mit seinem Buch einen Beitrag dazu, es endlich zu tun.

 

 

 

Jens Berger: „Wem gehört Deutschland?“

Westend Verlag Neu-Isenburg 2024

Taschenbuch, 256 Seiten

Ab 27.Mai 2024 im Buchhandel erhältlich




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