Die Propaganda-Kompanie marschiert
- Ronald Keusch
- 31. März
- 8 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 1. Apr.
Über das Buch „Propaganda-Presse: Wie uns Medien und Lohnschreiber in Kriege treiben“ von Patrik Baab

Es ist sicher eine dramatische Spannung, die von diesem Buchtitel ausgeht: „Propaganda-Presse“, mit der schrillen Warnung in der ergänzenden Unterzeile „Wie uns Medien und Lohnschreiber in Kriege treiben“. Und der Titel hält, was er verspricht. Nahezu jeder Satz, jede Aussage, jeder Zusammenhang veranlasst, ja provoziert zum unbedingten Weiterlesen. Das Büchlein mit seinen nur 128 Seiten ist in der wenig bekannten Verlagsgesellschaft „Hintergrund GmbH Berlin“ bereits im Jahr 2024 in der Reihe „Wissen Kompakt“ erschienen. Bekannter ist der Autor Patrik Baab. Er gehört zu den in Deutschland und auch international hoch anerkannten Journalisten. Dafür sorgten seine investigative erfolgreiche Arbeit beim Fernsehen, zuletzt im NDR, seine Lehrtätigkeit mit einer Professur an der Uni Kiel und zuallererst seine Recherchen als unbestechlicher Kriegsreporter in den weltweiten Konfliktherden, unter anderem vor Ort in der Ukraine. Auf seiner Website (patrikbaab.de), dort bezeichnet er sich als Reporter und Political Scientist, kann jeder noch einmal im historischen Rückblick seine legendären Enthüllungen der Barschel-Affäre oder der Todesfälle auf der Gorch Fock nachverfolgen.
Im Herbst 2023 erschien sein viel beachtetes Buch „Auf beiden Seiten der Front“ (siehe Rezension „Die Wahrheit über den Donbass“ https://www.keusch-reisezeiten.de/post/2023-10-rezension-baab-ukraine). Damit hatte er bei diesem brisanten Thema wohl endgültig zu viel Wahrheiten über die Wirklichkeit des Ukrainekrieges öffentlich gemacht. Die herrschenden Politik- und Medienkreise senkten über seinem Kopf den Daumen. Baab beschreibt diese von ihm erlebte Situation in den ersten Seiten seines Buches mit der Überschrift: „Unter Feuer“. Während Baab vor Ort recherchiert und mit beiden Kriegsparteien redet – das was jeder gute Journalist tun sollte – wird in Deutschland mit Falschmeldungen eine Denunziations-Kampagne gegen ihn initiiert.
Schon der erste Satz im Buch ist alarmierend: „Wenn die Presse ihre Arbeit gemacht hätte, wäre es wahrscheinlich zum Krieg in der Ukraine nicht gekommen.“ (S.6) Und im weiteren Verlauf zeigt Baab auf, wie der Realitätsverlust der Presse in ihre Realitätsverweigerung mündet. „In der Komfortzone ihrer Redaktionen verborgen, tun sie alles in ihrer Macht Stehende, den Krieg zu verlängern und andere in den Tod zu schicken.“ (S.7)
In dem Kapitel „Medien und Propaganda“ entlarvt Baab die Selbstbeschreibung der Journalisten, die sich als Vierte Gewalt und neutrale Beobachter stilisieren und die sogar angeblich die Machteliten kritisch begleiten, als eine plumpe Schutzbehauptung. „Wie jede akademische Berufsgruppe verrichten Journalisten Lohnarbeit und sind damit eingebettet in die herrschenden Macht- und Besitzverhältnisse.“ Und so lautet ein Resümee des Autors: „Medien schaffen und transportieren Ideologie und Propaganda, verstanden als zielgerichtete Versuche, Meinungen und Verhalten interessengeleitet zu steuern.“ (S.9,11)
Dem Leser wird eine überzeugende Lektion erteilt über den Journalismus, der den gesellschaftlichen Zwängen unterliegt und zu einem Sprachrohr der Regierung mutiert. Nun ist Propaganda, also eine bewusst zielgerichtete Manipulation, seit jeher ein Bestandteil demokratischer Gesellschaften. Doch nicht nur aber auch gerade in Kriegszeiten stellt sich die drängende Aufgabe, die Logik von ökonomischen und politischen Entscheidungen in Frage zu stellen. Deshalb sind Recherchen unbedingt angesagt, um die politischen Missstände und ökonomischen Interessen aufzudecken, die Kriege provozieren. Doch die bittere Erkenntnis von Baab und vieler seiner Leser lautet, dass die Medien ganz augenscheinlich versagen. Das beweist der Krieg in der Ukraine, dem das nächste Buchkapitel „Die Dimensionen des Ukraine-Krieges“ gewidmet ist. Auch wenn das Buch vor der Wahl in den USA erschienen ist und sich mit dem neuen Präsidenten Trump auch die US-Außenpolitik im Ukrainekonflikt in nur wenigen Monaten in einigen Punkten wesentlich wandelte, sind die militärischen und wirtschaftlichen Dimensionen wenig verändert erhalten geblieben. Wird eine Intervention oder Präsenz einzelner NATO-Länder in der Ukraine die Welt an den Rand eines nuklearen Armageddon bringen? Der Verlierer des Wirtschaftskrieges ist Europa, so Baab, und der größte Verlierer, das ist jetzt schon klar, heißt Deutschland. (S.20)
Doch der Autor des Buches findet dann zu seinem eigentlichen Thema zurück – dem Propagandakrieg, der bis in die jüngste Gegenwart tobt. Der Vorzug des Buches besteht nicht zuletzt darin, dass die meisten Fakten und Argumente durch eine Vielzahl von soliden Quellen gestützt werden, übrigens mit insgesamt 228 Quellen- und mehr als 210 Literaturangaben. So belegt eine Studie, die 107.000 Texte in den acht deutschen Leitmedien von FAZ bis zu ARD/ZDF analysierte, dass der mediale Diskurs die Diskurs- und Meinungslandschaft der Bevölkerung nicht widerspiegelt. Die Berichterstattung zu global wirksamen Ereignissen wie dem Ukrainekrieg falle in Deutschland unfassbar provinziell und geradezu fahrlässig monoperspektivisch aus. (S.21) Die Medien haben die neutrale Beobachterrolle aufgegeben und nehmen eine Systemfunktion ein. Es entstehen Informations-Kartelle. Der Realitätsverlust ist nicht mehr allein einem Schreibtischtäter anzulasten, sondern ist dem Mediensystem innewohnend.
Der erfahrene Reporter belässt es keineswegs bei der fundamentalen Kritik an den deutschen Medien, sondern er beschäftigt sich im Hauptteil seines Buches ganz detailliert mit dem Realitätsverlust der Medien. Dazu analysiert er die Blindheit der Medien unter verschiedenen Aspekten, um den fortschreitenden Realitätsverlust besser und natürlich überschaubarer sowie lesbarer zu machen. Baab listet einzeln auf: Die Militärische Blindheit, weiter die Moralisch-ethische, Soziale, Psychologische, Kulturelle, Ökonomische, Politische und geostrategische Blindheit, die Kausalitäts- und die Apokalypse-Blindheit und schließlich die Journalistisch-handwerkliche Blindheit.
Für die wichtigste militärische Wahrheit sind die Medien blind. Schon vor mehr als einem Jahr hatte die Ukraine keine Chance mehr, den Krieg zu gewinnen. Und es wird der frühere Generalinspektor der Bundeswehr, General Kujat zitiert: „Die Ursachen der verzerrten Darstellung der Realität sind die unreflektierte Übernahme von Desinformation, sind vor allem Inkompetenz und ideologische Verblendung.“ (S.25)
Ist das moralisch? „Über die vielen Kriegstoten berichtet die Presse genauso selten wie über das menschliche Leid. Dass eingehende Recherchen hierzu vermieden werden, macht die Presse selbst zur Kriegspartei.“ Und weiter: „Für die westlichen Medien sind die Ukrainer lediglich Kanonenfutter beim Versuch, Russland zu schwächen und in Moskau einen Regimewechsel zu erzwingen. Deshalb wurde auch nicht über die zivilen Opfer der ukrainischen Armee im Donbass berichtet“. Dies zeigt, so der Militär-Analyst Jacques Baud, „dass wir die Menschen im Donbass als ‚Untermenschen‘ betrachtet haben, die es nicht verdienen, ein normales Leben zu führen“. Die moralisch-ethische Blindheit der Medien zeigt sich in diesem Medien-Zynismus. (S.29,30)
Bei seinen Besuchen im Kriegsgebiet auf beiden Seiten der Front kann Reporter Baab Erschütterndes berichten. Unter der Überschrift „Kausalitäts-Blindheit“ werden nachweisbare Belege geliefert, dass es sich bei dem Maidan Massaker um eine militärische Operation gehandelt hat, an der auch der NATO nahestehende Kräfte beteiligt waren und die von US- und NATO-Kräften geplant und organisiert wurde. „Die Deutungsmacht der journalistischen Gatekeeper wird hier zum ‚Lügen durch Weglassen‘. …Aus dem Putsch ultranationalistischer Kräfte im Bunde mit NATO und EU wird eine demokratische Revolution gemacht.“ (S.32,33)
Erschreckend auch die Ignoranz der Medien gegenüber den sozialen Missständen in der Ukraine, die Soziale Blindheit der Medien. Der Mindestlohn, im Jahr 2015 mit 34 Cent pro Stunde eingeführt, erhöhte sich bis 2021 drei Mal und lag bei 1,21 Euro. Da konnten Unternehmen aus Deutschland gönnerhaft Stundenlöhne von zwei bis drei Euro zahlen. Die gut ausgebildeten Arbeitskräfte verließen massenhaft das Land. Und diese demographische Situation verschlechtert sich im Krieg immer weiter, jetzt kommt noch die große Zahl an Kriegstoten und Flüchtlingen hinzu.
Was erfahren die deutschen Leser und Zuschauer über die Stimmung der Bevölkerung bei den Wahlen zu Referenden im Donbass oder was erfahren sie über den Abriss von Maxim Gorki und Alexander Puschkin Denkmälern in der Ukraine? Die Regierung will den öffentlichen Raum „entrussifizieren“. Ein rassistisches Konzept in dem Vielvölkerstaat Ukraine. Unsere Mainstream-Medien folgen in ihrer ethnisch-kulturellen Blindheit „der Propaganda-Logik, dass Ultranationalismus und Faschismus, Bücherverbrennungen und Unterdrückung kultureller Minderheiten nicht so schlimm sind, wenn es den Interessen des transatlantischen Blocks nützt.“ (S.41)
Weitere Abschnitte im Buch folgen zur ökonomischen Blindheit der Medien angesichts der gescheiterten Wirtschaftssanktionen des Wesens, die als Bumerang besonders die deutsche Industrie treffen sowie zur politischen und geostrategischen Blindheit. Der Krieg in der Ukraine ist der Höhepunkt eines 30 Jahre alten Projekts der US-Neocons. Auch davon ist in deutschen Zeitungen kaum etwas zu lesen: Der wichtigste Grund für den Krieg in der Ukraine ist die Osterweiterung der NATO. (S.45,46) Damit einher geht die Apokalypse-Blindheit vor einer nuklearen Auseinandersetzung, die der Eskalation des Ukrainekrieges durch NATO-Truppen und NATO-Waffen folgen kann und vor dem Beobachter warnen und im Buch zu Wort kommen.
Klare Aussagen findet der Kriegsreporter auf beiden Seiten der Front zur journalistisch-handwerklichen Blindheit in der Berichterstattung. Wer einen Krieg beenden will, muss seine Ursachen kennen. Genau diese Ursachen werden in der Berichterstattung ausgeklammert. „Die ‚Sieben W-Fragen‘ - Wer? Wo? Was? Wann? Wie? Warum? Woher die Meldung? - werden gar nicht mehr vollständig beantwortet. Es fehlen Erklärungen zu ‚Wie‘ und ‚Warum‘. Damit bleibt der Leser verwirrt und ratlos zurück, ein Opfer der Propaganda“ (S.51). Und Baab stellt seiner Branche ein verheerendes Urteil aus. „Wir haben es in Deutschland mit einer Berichterstattung zu tun, die ihre eigenen Handwerksregeln missachtet und deshalb der Desinformation dient.“ (S.52)
Im Kapitel „Medien im Propagandakrieg“ wird von Baab der Bogen weiter gespannt. Hier werden Schulen, Universitäten und auch die Kirchen näher betrachtet. „Es geht darum, dass WIR die Guten sind, dass WIR es besser wissen, dass WIR die regelbasierte Ordnung bestimmen, der sich andere zu fügen haben…Pastoren predigen inzwischen ihren Schäfchen Waffenlieferungen. Es fehlt nur noch, dass sie die Marschflugkörper vor der Auslieferung in die Ukraine segnen.“ (S.54,56)
Erhellend auch die Erfahrungen, die der Journalist in seiner 15jährigen Tätigkeit als freier Mitarbeiter bei Zeitungen und Zeitschriften, Rundfunk und Fernsehen gemacht hat. Zwei Kernsätze lauten: Für den Blick hinter die Kulissen gilt der Spruch: Folge der Spur des Geldes sowie „Redaktionen werden häufig zu Soziotopen perfekter Untertanen-Mentalität.“ (S.61) Sehr detailliert wird die installierte Meinungs- und Zensurmaschinerie beschrieben und den Akteuren besondere Hinterhältigkeit und Feigheit bescheinigt. „Müssten nämlich jene Kriegstreiber, die sich hinter Redaktionstischen verstecken, an die Front, wäre der Krieg morgen vorbei. Dasselbe gilt für Vertreter von Wissenschaft und Politik“, so die knappe Einschätzung des Kriegsreporters. Besonders betroffen machen dann die Abschnitte, die sich mit der ständig anwachsenden Public Relations in einem riesigen Netzwerk beschäftigen, das zunehmend einen Angriff auf die Gehirne unternimmt. Eine der wichtigsten Ziele besteht darin, die Kriegswirklichkeit aus den Wohnzimmern fernzuhalten und dafür permanent Propaganda-Märchen zu erzählen. (S. 65ff.)
Der Autor taucht dann noch ein in die journalistische Psychologie und stellt fest: „Der Journalismus ist ein darstellender Beruf und solche Berufe ziehen narzisstische Selbstdarsteller an.“ (S. 75) Die Bewertung mit Zitaten solcher Klassiker wie Siegmund Freud ist spannend und auch zum Teil amüsant. Nur das Ergebnis sind dann gräuliche Kriegshysterie und mediale Denunziations-Kampagnen, denen auch Patrik Baab ausgesetzt war. Verstärkt werden diese unheilvollen Trends durch den digitalen Kapitalismus. Hier brauchen Sitzredakteure kein Handwerk mehr, sondern „Killer-Instinkt“ und es entstehen Gruppen von Online-Journalisten, die den Realitätssinn verloren haben und sich als „journalistische Drohnenpiloten“ gerieren.“ (S. 84) Der Ausbeutungs- und Anpassungsdruck in den Redaktionen nimmt zu und erzwingt vorauseilenden Gehorsam.
Am Schluss des Buches fällt das Urteil des Autors über den deutschen Journalismus wie nicht anders zu erwarten verheerend aus. Er zeigt sich in einer „Selbstgleichschaltung, die von Talkshow-Moderatoren zu Intendanten, von Funkhausdirektoren zu Sitzredakteuren, von Auslandskorrespondenten zu Wald- und Wiesen-Reportern reicht.“ Mit der Mobilisierung der Affekte, für Kriegshetze und Kriegstüchtigkeit „ist der deutsche Journalismus auf dem Niveau einer Propaganda-Kompanie der Kriegstreiber angekommen.“ (S.86,87)
Die mahnenden Worte von Patrik Baab bleiben in Erinnerung. „Wenn aber die Medien selbst zum gefährlichsten Kriegstreiber mutieren und damit das Friedensgebot des Grundgesetzes verletzen … dann werden jene zu Verteidigern der grundgesetzlichen Meinungs- und Informationsfreiheit, die sich mit dieser antidemokratischen Presse nicht mehr einlassen und alternative Medien aufbauen und nutzen.“ (S. 90) Und an die russophoben Schreibtisch-Krieger in den Redaktionen, die mitverantwortlich für den Tod hunderttausender Menschen in der Ukraine sind, richtet sich der Kriegsreporter Baab ganz direkt in seinem Schlusssatz: „Sie müssen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, denn sie haben Blut an ihren Händen.“ (S. 91)
Angesichts der vielen Fakten und Wahrheiten, die in diesem Buch ausgebreitet werden, fragt man sich unwillkürlich: Wie kann es sein, dass so viele Realitätsverweigerer in den Mainstream-Medien ihre Halbwahrheiten und Lügen ungestraft weiterverbreiten können und dass immer noch so viele Menschen in unserem Land weiterhin an den windschiefen wackligen Propagandakulissen des westlichen Mediensystems mit dick aufgestrichenen Angstfarben festhalten? Diese Fragen können sicherlich nur Psychologen beantworten, die auf das Thema „Massenverblödung durch kontinuierliche Propaganda“ spezialisiert sind. Die Weiterempfehlung und Verbreitung solcher Bücher wie von Patrik Baab kann zumindest einen kleinen Beitrag dazu leisten, diese verachtungswürdigen Propagandakulissen niederzureißen.
Patrik Baab, Propaganda-Presse: Wie uns Medien und Lohnschreiber in Kriege treiben
Verlag Hintergrund, Erschienen 17. Juli 2024
Comments