Über den Umgang mit kritischer Wissenschaft und Vorweihnachtliches aus dem Korrespondenten-Café
Die Wissenschaft scheint sich immer mehr in ein Schlachtfeld zu verwandeln, auf dem es überhaupt nicht mehr um den notwendigen wissenschaftlichen Meinungsstreit geht. Was nicht in die weltanschauliche Linie passt, wird bekämpft, gern auch gnadenlos ruppig angerempelt. Leider gibt es dafür Beispiele in schier unüberschaubarer Menge. Dazu zählen in jüngster Zeit eine Petition von 20 Wissenschaftlern zum Weiterbetrieb der Atomkraft, die auch das nötige Quorum der notwenigen 50.000 Stimmen erhielt und eine parteiunabhängige Energiewende-Konferenz in Stuttgart. Beide stören die Politik und die angeschlossenen Mainstream-Medien immens beim Atomkompromiss der Ampelregierung, die die letzten verbliebenen drei Kernkraftwerke Mitte April 2023 abschalten wollen. Also wird ihnen schnell das Etikett „Klimaleugner“ angehängt. Aber weder die Energietagung noch die Petition streiten den Klimawandel ab, sondern sie kritisieren sachlich die Maßnahmen zum Klimaschutz mit vielen wissenschaftlich fundierten Argumenten wie beispielsweise der derzeitigen Kapazität von Stromspeichern in Deutschland. Das Resümee der Wissenschaftler: „Die Kernenergie ist unsere Schlüsseltechnologie an der Schnittstelle von Versorgungssicherheit und Klimaschutz. Sie vereint zwei Vorteile: Sie ist klimafreundlich wie Sonne und zuverlässig wie Kohle.“ Und sie fordern für Deutschland eine „breite öffentliche Debatte auf wissenschaftlicher Basis“, nicht mehr und nicht weniger. Eine Debatte, die in allen anderen Ländern in Gang gesetzt wurde, zum Beispiel mit dem Ergebnis, dass Japan endgültig aus ihrem vorübergehenden Atomausstieg aussteigt und den Ausbau der Kernenergie als unerlässlich ansieht, um ihre Ziele zur CO2 Reduzierung zu erreichen. Sie haben erkannt – und vorgerechnet – dass die Versorgungssicherheit für Japan nicht zu erreichen ist, wenn man nur auf Wind und Sonne setzt. Diese Rechnungen liegen für Deutschland auch vor, aber hier kommen immer noch die Ideologen zu Wort und nicht die Wissenschaftler.
Noch ruppiger wird mit dem EIKE (Europäisches Institut für Klima und Energie e.V.) umgegangen, das sich nicht allein mit dem Einfluss des Menschen auf das Klima, sondern auch mit anderen Einflussfaktoren wie den solaren Zyklen und der kosmischen Hintergrundstrahlung wissenschaftlich beschäftigt. Das EIKE betrachtet kritisch auch alle vermeintlich durch den Menschen verursachten Klimafolgen und die Maßnahmen gegen den Klimawandel, die oft wie das Regelwerk einer Sekte daherkommen und auch so formuliert werden. Dabei werden einige der postulierten Weltuntergangsmodelle nur durch Klima-Modellrechnungen belegt – und diese sind durchaus diskutabel und keine unumstößliche Wahrheit, auch wenn sich das Institut für Klimafolgenforschung in Potsdam gern in dieser Rolle geriert. Das EIKE wurde massiv daran gehindert, wissenschaftliche Veranstaltungen – im Übrigen mit hoch angesehenen Forschern aus aller Welt – zu organisieren. So wurden die Veranstalter bedroht, nicht nur mit verbalen Aufrufen, Boykottandrohungen und Demonstrationen, sondern schließlich auch mit handfesten Sachbeschädigungen. Eine unrühmliche Rolle spielten dabei Politiker der Grünen, die dazu aufriefen, jeglichen wissenschaftlichen Diskurs zu unterbinden, wie immer unter dem Totschlagsargument der „Klimaleugner“. Ein unwürdiger Vorgang für ein Deutschland mit seinen legendären wissenschaftlichen Traditionen und einer großen Zahl von Nobelpreisträgern.
Ein anderer um sich greifender Trend des Umgangs mit wissenschaftlichen Fakten und Erkenntnissen ist genauso ruinös: Alles, was nicht passfähig ist oder auch nur so erscheint, wird einfach ignoriert, wird nicht zur Kenntnis genommen, totgeschwiegen. Parteiprogramme scheinen die einzige Richtschnur zu sein, Aktivisten und Ideologen, ohne jegliche wissenschaftliche Meriten und teilweise sogar ohne jeglichen wissenschaftlichen Abschluss werden zu „Experten“ und „Weisen“ ernannt oder krönen sich selbst dazu.
Prof. Stefan Kooths (l.) und Ewald König im Korrespondenten-Cafe
In das vorweihnachtliche Korrespondenten-Cafe wurde am 22. Dezember der prominente Wirtschaftsexperte speziell zu Konjunkturfragen Professor Dr. Stefan Kooths eingeladen. Er ist Vizepräsident am Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) und Direktor des dortigen Forschungszentrums für Konjunktur und Wachstum. Er lehrt Volkswirtschaftslehre an der Business and Law School Berlin/ Hamburg, sitzt im Präsidium des internationalen Wirtschaftssenates (IWS) und ist Vorsitzender der Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft. Der anerkannte Wirtschaftswissenschaftler sprach zu dem Thema: Prognose der Inflations- und Konjunkturentwicklung 2023.
Aus profundem Munde wurden wichtige Charakteristika der derzeitigen und mittelfristigen Wirtschaftsentwicklung präzisiert und deutlich ausgesprochen. Schon die Überschrift seines Vortrags gab die Richtung vor: Wachstum im Abstieg und Inflation im Kriechgang. Begriffe und Inhalte, die mitunter inflationär in der Öffentlichkeit herumgeistern, wurden deutlich umrissen und in wirtschaftliche Zusammenhänge eingeordnet. Zu seiner wissenschaftlichen Analyse gehörten dann solche Schlaglichter wie „Es wird in Deutschland eine Rezession geben“. Eines seiner Themen gipfelt in der Aussage: „Es ist der stärkste Kaufkraftrückgang in den privaten Haushalten zu verzeichnen, den wir jemals im wieder vereinigten Deutschland gesehen haben“. Ein großer Teil dieses Kaufkraft-Verfalls komme erst noch und werde derzeit von privaten Haushalten nicht so deutlich gespürt. Die Kosten für Strom, Gas und Fernwärme reagieren erst mit erheblicher Verzögerung. Und Professor Kooths stellt die Frage, wie die Politik darauf reagiert. Derzeit gibt es einen erheblichen Kaufkraft-Abfluss in die übrige Welt und die deutschen Energielieferrechnungen sind enorm gestiegen. Der Wirtschaftsexperte gibt mit seiner Schätzung von einer dreistelligen Milliardensumme die Richtung vor, ohne Zahlen zu nennen. „Wir sind alle ärmer geworden im europäischen Wirtschaftsraum“, so Kooths. Doch das kann der Staat nicht ausgleichen, nicht aus der Welt schaffen, sondern nur umverteilen. Es wurden in Deutschland Gas- und Strompreisbremsen eingeführt. Dieses Vorgehen wird von Professor Kooths und seinem Institut deutlich kritisiert. Denn da werden in massiver Weise staatliche Mittel in den Privatsektor über Anbieter-Subventionen gepumpt und mit großen Aufwand Gas- und Strompreise subventioniert. Im Jahr 2023 liegt die voraussichtliche Gesamtsumme bei 87 Milliarden und im Jahr 2024 bei 20 Milliarden Euro. Doch das geht nicht in die Breite und ist nicht optimal dosiert. Warum erhoben sich kaum Stimmen, die dieser Politik widersprochen haben? Es sollte auf jeden Fall all denjenigen Menschen, die durch hohe Energiepreise in Existenznot geraten, geholfen werden. „Das sind allerdings nicht diejenigen“, so Kooths fein lächelnd ironisch, „die hier im Raum der Pressekonferenz zusammensitzen und meinen Vortrag hören“. Natürlich sei niemand über Kaufkraft-Verluste erfreut. Wir sind alle ärmer geworden. Aber allen, die es sich leisten können, hätte man diesen Kaufkraftverlust zumuten können. Ansonsten kann mit einer solchen Energie-Politik das gesamte Land ökonomisch unter Wasser gedrückt werden.
In anderem Zusammenhang warnte Professor Kooths vor immer mehr Vorschriften und der staatlichen Regelungswut. Mittlerweile erinnere das Geflecht aus Regeln, Vorschriften und Dokumentationsvorgaben an den Riesen Gulliver, der von zahllosen Schnüren am Boden gefesselt wurde. Zugleich warnte er davor, allein den Schub bei den Energiepreisen als Ursache für die Inflationsentwicklung anzusehen. „Der inflationäre Druck hat sich schon aufgebaut, bevor in der Ukraine der erste Schuss gefallen ist.“ Es gibt weitere Faktoren, die sich durch die Verschuldung des Staates und die Verteilung von Phantom-Einkommen z.B. in der Pandemiezeit deutlich inflationär auswirken. In den nächsten Jahren werden die Wachstumsraten, die in Deutschland seit mehreren Jahrzehnten stabil bei 1,4 Prozent lagen, so die Prognose von Kooths, auf 0,3 bis 0,5 Prozent zurückgehen. Geht das Wachstum verloren, nehmen zugleich die Verteilungskämpfe zu. Und zu den Wahrheiten der Wirtschaftswissenschaft gehört, dass die Energiewende trotz hoher Investitionen keine Wachstumspolitik ist. „Es ist nichts gegen die Strategie der Dekarbonisierung zu sagen, aber es ist eine Illusion zu glauben, sie ist ein Wachstumstreiber, das Gegenteil ist richtig – Dekarbonisierung ist ein Wachstumsdämpfer.“
In der Fragerunde der Korrespondenten stellte der Veranstalter Ewald König die erste und vielleicht wichtigste Frage: Inwieweit werden Sie als Wirtschaftswissenschaftler und Ihre Kollegen von der Politik gehört? Professor Kooths überlegte einige Sekunden, ehe er ausdruckslos antwortete: „Wir werden schon gehört. Wir beraten die Bundesregierung regelmäßig über Gutachten.“ Aber so richtig wollten das dem Wirtschaftswissenschaftler die Korrespondenten nicht abnehmen.
Comments